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Autobahn durch ein Nadelöhr

In Oberschöneweide läuft Verkehrspolitik über das Gaspedal. Autobahnähnliche Trassen sollen in Zukunft noch mehr Stau in das Arbeiterviertel bringen. Cramer: Trambahn ist billiger  ■ Von Ansgar Oswald

Pünktlich um 7 Uhr bricht über Oberschöneweide das Chaos herein. Fast zwölf Stunden lang donnert in den Ort eine Blechlawine und bahnt sich schleppend ihren Weg von der Treskowallee aus Lichtenberg durch die Edison- und die Siemensstraße über die zwei Spreebrücken auf die Schnellerstraße/Adlergestell (B 96) in Treptow. Täglich sind es rund 42.000 Fahrzeuge, die durch dieses innerstädtische Süd-Ost-Nadelöhr zockeln, während die Straßenbahn zügig an den genervten Autofahrern vorbeifährt.

Die Leidtragenden sind vor allem die Anwohner, die den Lärm in der Edisonstraße aushalten müssen. Dem vierspurigen Ausbau der Edisonstraße zu DDR- Zeiten folgte kurz nach der Wende der Ausbau der Treskowallee. Seither stauen sich die Automassen in Oberschöneweide. Die Abgase der Blechkarawanen haben die Stimmung bei den Anwohnern auf den Siedepunkt getrieben. „Wenn das Chaos so weitergeht, kann man nur noch wegziehen“, ärgern sich die Oberschöneweider.

Um so heftiger wirbt der Beauftragte der Senatsbauverwaltung des Sanierungsgebiets Oberschöneweide, Michael Wend, für die sogenannte vierspurige und anderthalb Kilometer lange Süd-Ost- Verbindung (SOV). Wend verweist auf Prognosen des Ex-Verkehrssenators Herwig Haase, „wonach der Verkehr bis zum Jahr 2010 erheblich zunehmen wird“.

Nach dem Flächennutzungsplan soll diese Tangente in Höhe des Britzer Zweigkanals als dritter Spreeübergang die Rummelsburger Landstraße mit der Schnellerstraße verbinden, um den künftigen Wirtschafts- und Durchgangsverkehr aufzunehmen. Als innerstädtische Entlastungsstraße „für den stark expandierenden Gewerbeverkehr“ kann das 70-Millionen-Projekt zum überwiegenden Teil mit Geldern der „Gemeinschaftsaufgabe Infrastrukturförderung Ost“ (GA) finanziert werden. Doch mittlerweile pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß die SOV zugleich das Teilstück eines künftigen Autobahnzubringers zur Teltowkanal-Autobahn (A 113) sein wird. Weil es dafür aber keine GA-Fördermittel gibt, wird die Tangente erst mal als innerörtliche Entlastungsstraße für den Wirtschaftsverkehr deklariert. Die Funktion der neuen Trasse als Autobahnzubringer will auch Wend nicht ernsthaft bestreiten.

Doch auch der vielzitierte Entlastungseffekt der Tangente ist zweifelhaft. Denn für die Süd-Ost- Verbindung wird ganztägig ein durchschnittliches Verkehrsaufkommen von 40.000 Fahrzeugen erwartet. Sowohl die Köpenicker Bündnisgrünen als auch die Betroffenenvertretung Oberschöneweide sehen in der Tangente keine Entlastung des Ortsverkehrs. „Denn bislang ist weder für die Edison- noch für sonst eine Ortsstraße ein Rückbau oder eine Verkehrsberuhigung vorgesehen“, kritisierte schon im Sommer 1995 der Köpenicker bündnisgrüne Bezirksverordnete Harald Wiener.

Das 70-Millionen-Projekt ist für den verkehrspolitischen Sprecher der bündnisgrünen Abgeordnetenhausfraktion, Michael Cramer, „verkehrspolitisch schlicht verantwortungslos“. Dafür könne man mindestens fünf neue Straßenbahnkilometer anlegen. Als Trassierungen schweben ihm ein Straßenbahnanschluß vom S-Bahnhof Schöneweide zur U-Bahn-Station Zwickauer Damm und vom S- Bahnhof Adlershof zum U-Bahnhof Rudow vor.

Auch für den Wirtschaftsverkehr gibt es eine alternative Lösung. Im Auftrag der Senatsverkehrsverwaltung und der Industriebahngesellschaft Berlin mbH (IGB) hat unlängst das Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung (ZLU) eine Studie vorgelegt. Danach sollen 80 Prozent der Straßengütertransporte in das Industriegebiet Oberschöneweide über ein stadtteilbezogenes Logistikzentrum am Ende der Wilhelminenhofstraße abgewickelt werden, das schrittweise aufgebaut werden soll und an die Sub- und Oberverteilzentren der Bahn angeschlossen ist. Nach dem ZLU- Konzept können die für das Jahr 2000 für Oberschöneweide hochgerechneten 188.000 Straßengütertransporte auf 30.000 reduziert werden. Rund 70 Prozent der etwa 90.000 Lkw-Transporte könnten laut ZLU-Studie schon jetzt entfallen, denn die Bahngleise vom Industriegebiet bis Güterbahnhof Rummelsburg sind vorhanden.

Wichtig sei laut IGB-Geschäftsführer Klaus Duscha für die Unternehmer ein Hauptauftraggeber als Ansprechpartner, „und das ist die Industriebahn“. Der Geschäftsführer verweist auf ähnliche Konzepte, die etwa mit dem Kaffeekonzern Jacobs in Neukölln seit Jahren praktiziert werden. „Da rollen 190.000 Tonnen Rohkaffee von Bremen bis Neukölln auf der Schiene“, erklärt der IGB-Geschäftsführer begeistert.

Die Senatsverwaltung hält beharrlich an der Süd-Ost-Verbindung fest, „weil die im Flächennutzungsplan steht, und zu dem stehe ich“, so Wend. Also wird weiter eine Verkehrspolitik übers Gaspedal betrieben. Für die Sanierung der Treskowbrücke 1999 hat Wend die Anwohner Ende April schon mal seelisch auf die Stillegung der Straßenbahn vorbereitet. „Dann bricht das totale Chaos aus“, kommentiert Michael Kleineberg von der Betroffenenvertretung. Doch offen ist, ob überhaupt saniert wird. Denn wie von der Berliner Entwicklungs-GmbH (Bleg) zu erfahren war, sind sämtliche Gelder für Brückensanierungen in Oberschöneweide gestrichen“, so der Bleg-Prokurist Reiner Nittka.

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