: Schalke badet in Gefühl
■ Nach 1:2 räumt Bayern die Bühne für Gelsenkirchener Auferstehungsfeier
Gelsenkirchen (taz) – Die Bühne für die große Feier des UEFA-Pokalqualifikanten räumte der Nichtmeister in Rekordzeit. Schlecht gespielt, knapp verloren, und Franz Beckenbauer gab noch kurz bekannt, daß er doch nicht für Wunder zuständig ist: „Wenns einen Zauberer brauchts, gehts in den Zirkus Krone und holts euch einen!“ Dann waren die Bayern auch schon auf dem Weg. Nur 25 Minuten nach Abpfiff saßen die Münchner im Bus zum Flughafen und entgingen so den Staus auf den Abfahrtswegen, weil der Großteil der 70.960 Zuschauer sich zu diesem Zeitpunkt im Stadion noch jubelnd in den Armen lag. Schalke badete an diesem Tag, dem Ende von 19 Jahren in der Bedeutungslosigkeit, in großen Gefühlen. Tumulte und Tränen, rausgerupfte Rasenstücke als Trophäen, die Zeit der Leiden ist vorbei. Die Spieler warfen noch eine Stunde nach Spielschluß aus dem Fenster der Umkleidekabine Autogrammkarten, Trikots, Stutzen und Socken zu ihren Fans herunter. Trainer Jörg Berger und Manager Rudi Assauer, die Köpfe der erstaunlichsten Sanierung im Bundesligafußball der letzten Jahre, beschworen derweil Harmonie und Kameradschaft als Gründe des Erfolgs.
„Daß dieser Traum in Erfüllung gegangen ist, hat eine Mannschaft erreicht“, meinte Berger. Und Rudi Assauer, der schon etwas beduselt an seiner Zigarre nuckelte, verneigte sich vor den Fans, die der Verein auf eine fast zwanzigjährige Leidensstrecke geschickt hatte: „Der heutige Erfolg ist nur möglich geworden, weil die Jungs in der Kurve den Verein nicht im Stich gelassen haben.“
Doch trotz manch tränenschwerer Gefühlsbesoffenheit hat man in Schalke erkannt, daß die Qualifikation für den UEFA-Cup ein Geschenk ist. Assauer meint zwar: „Die Tabelle lügt nie!“ Aber die Führung der Gelsenkirchener übersieht nicht, daß ihre erstaunlich erfolgreiche Mannschaft nur sehr durchschnittlich besetzt ist. „In Phasen des Erfolges werden die größten Fehler gemacht“, warnt Berger daher auch.
Und Olaf Thon fordert „zwei Spieler, die uns wirklich nach vorn bringen“. Sollte das gelingen, könnten beim solange schlafenden Schalke 04 demnächst noch mehr Socken aus dem Fenster fliegen. Christoph Biermann
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