: Für eine Woche unantastbar
Schon wieder Dortmund: Der erneute Meistertitel für die Borussia ist nicht mehr intoxinierend, doch für Ottmar Hitzfeld „wichtiger“ ■ Aus München Gerhard Fischer
Deutschlands Sportreporter- Primus Marcel Reif sagt immer, er kenne keinen einzigen Menschen, der so ohne Instanz über sich durchs Leben gehe wie Franz Beckenbauer. Doch nun, nachdem seine Mission, Bayern zum Meister zu machen, gescheitert ist, muß Beckenbauer Majestätsbeleidigungen ertragen. Vor allem vom Fußvolk des siegreichen Kontrahenten. Das war in fünfstelliger Anzahl (man spricht von 12.000) nach München gekommen, hatte das 2:2-Remis bei 1860 und die Titelverteidigung der Dortmunder Borussen gefeiert – und Schmähungen Richtung Gelsenkirchen geplärrt, wo dem bislang unantastbaren Beckenbauer vollends ein Zacken aus der Krone gebrochen worden war. „Vize-, Vizekaiser Franz!“ und „Schickt den Kaiser zum Golfen in die Schweiz!“ schmetterten gelbschwarze Schlachtenbummler nach Spielschluß durch die U-Bahn.
Borussia Dortmund ist zum fünften Mal Meister. Schon wieder. Als 1995 der Titel errungen worden war, hatte die BVB-Familie zuvor 32 Jahre drauf warten müssen – und deshalb gefeiert wie die Weltmeister. Diesmal dauerte es nicht mal zwölf Monate. Der Jubel darüber ist groß, aber nicht grenzenlos, die Spieler wählten Worte, die Freude ausdrückten, keine Superlative. Und Trainer Ottmar Hitzfeld analyiserte nüchtern: „Letztes Jahr war der Titelgewinn vielleicht schöner, aber jetzt ist er wichtiger.“ Und zwar nicht deswegen, weil die Dortmunder noch mehr Geld scheffeln können in der Champions League, sondern schlicht sportlich: „Es ist eine riesige Bewährungsprobe gewesen für meine Mannschaft. Sie hat sie bestanden. Sie hat den Erfolg von 1995 bestätigt.“ Die Schalker hatten wieder mithelfen müssen. Und 1860 München, das dem FC Bayern etwa so nahesteht wie Scharping dem Schröder, war ebenfalls in die Zwickmühle geraten. Die „Roten“ unterstützen durch einen Sieg über Dortmund? Niemals, meinten manche. „Hoffentlich verlieren wir heute“, hatte ein „blauer“ Fan beim Betreten der Nordkurve gesagt, „denn wenn die Bayern am 18. Mai daheim gegen Düsseldorf die Meisterschaft feiern, muß ich für einen Tag die Stadt verlassen.“
Solche Fundamentalisten, blind vor Wut auf die Großkopferten von der Säbener Straße, waren freilich in der Minderheit. Mehrheitlicher Konsens war: Die Bayern gehn uns nix an, wir spielen für uns. Für die Ehre. Und ein bisserl für den UI-Cup.
Die Löwen ließen sich tatsächlich nicht lumpen, boten der ausverkauften Bude eine feine Vorstellung, glichen kampfeslustig einen 0:2-Rückstand aus. Auf dem Rasen, auf dem einst Dieter Hoeneß ähnlich fuhrwerkte, erzielte Olaf Bodden mit zwei bemerkenswerten Kopfstößen Anschlußtreffer und Ausgleich. Angreifer-Kamerad Winkler hat in der internen Liste weiter Boden auf Bodden verloren, weil er nach 28 Minuten nur den linken Pfosten des Klos- Kastens traf und nicht hinein, was verdient gewesen wäre angesichts einer Dortmunder Hasenfüßigkeit in der ersten halben Stunde. Der frühere Bayer Stefan Reuter half sodann den Borussen in die Schuhe: Er nutzte Turbulenzen im Sechziger Strafraum zu einem Linksschuß unter die Latte (38.). So gut sich Sechzig ansonsten aus der Affäre zog: Beide Gegentreffer zeugten von geringer Aufmerksamkeit in der Abwehr. Als Riedle einen Eckball auf Borussen-Kapitän Zorc verlängerte, stand der beim 2:0 frei am langen Pfosten (64.). Es kamen zwar noch Boddens Saisontore 13 und 14, doch dann war Schluß, und mächtiger Jubel erklang genau dort, wo gewöhnlich Bayern-Fans ihren Lieblingen huldigen: in der Südkurve des Olympiastadions.
Hernach wurde Ottmar Hitzfeld gefragt, ob er nun unantastbar sei, nach zwei Meisterschaften in Folge. Hitzfeld verneinte bescheiden: Unantastbar sei ein Trainer nur für eine Woche nach einem Sieg. Da griff Löwen-Präsident Wildmoser, Freund harmloser Witze und hirnloser Sätze („mit unseren Stürmern hätten wir den Zweiten Weltkrieg nicht verloren“), zum Mikrophon und erteilte grinsend Übungsleiter Werner Lorant zeitlich unbegrenzte Arbeitserlaubnis: „Unser Trainer ist immer unantastbar, gleich ob wir gewinnen oder verlieren.“ Keine Frage: In München wächst ein neuer Kaiser heran.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen