: Ein kleines Dorf wehrt sich
Eine Bürgerinitiative in Waddekath macht seit kurzem große Politik. Der Salzstock des Dorfes in Sachsen-Anhalt ist als Ersatz für Gorleben im Gespräch ■ Von Kerstin Schweizer
Die Waddekather sind stur, und vielleicht war es diese Sturheit, die Kerstin Schmeiß dazu bewegte, in die Kamera eines ARD-Reporters zu sagen, sie würde nie und nimmer aus Waddekath weggehen. Egal was kommen werde.
Bis zur Wende lag Waddekath am äußersten Rand der DDR und war von allen Seiten eingezäunt und eingemauert. Die DDR-Oberen hatten das Dorf nie gemocht. Zu nah an der Grenze zu Niedersachsen, zu prädestiniert für die Flucht in den Westen. Würde es die DDR heute noch geben, gäbe es Waddekath nicht mehr. Bis 1996 wollte man den Ort schleifen lassen.
Die Waddekather sind geblieben. Trotz Kontrollen, trotz Überwachung, trotz der Zäune, die die Dörfler dazu verdammten, für Jahrzehnte unter sich zu bleiben. Fremde kamen nur selten und nur mit einem Passierschein in den Ort.
Heute liegt Waddekath mitten in Deutschland, im atomaren Dreieck zwischen Gorleben, Morsleben und Schacht Konrad.
Als Kerstin Schmeiß am Morgen des 21. Oktober 1995 die Schlagzeile des Isenhagener Kreisblattes liest, läßt sie ihren Kaffee stehen, raucht die Zigarette unterwegs und klingelt bei Müttern im Dorf. „Atommüllendlager Waddekath“ stand dort. Eine Woche später hat sie für 800 Mark Sprit verfahren und für 200 Mark telefoniert. Bei der ersten Demonstration im Dorf sagt sie vor den versammelten Bewohnern, daß Waddekath sich wehren wird.
1992 hatte der damalige Umweltminister Klaus Töpfer bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe eine Studie in Auftrag gegeben, in der 40 Salzstöcke als mögliche Alternativstandorte zum Endlager Gorleben untersucht wurden. Im Abschlußbericht heißt es: „Es verbleiben die Salzstöcke von Waddekath, Wahn und Zwischenahn und mit Vorbehalten Gülze Sumte.“
Zu DDR-Zeiten haben in Waddekath weniger als 90 Menschen gewohnt. Heute sind es 152. Seit der Wende wurden drei Häuser gebaut, ein Schweinestall wurde zu Wohnungen umfunktioniert. „Das Dorf entwickelt sich“, sagt Bürgermeister Fritz Kloß, der auch noch Bürgermeister von Diesdorf und elf weiteren Ortschaften ist.
Links und rechts der beiden Dorfstraßen stehen Bauernhäuser aus rotem Backstein. Auf jeder Bank dösen drei Katzen, hinter jedem Gartenzaun kläfft ein Hund. Da, wo die zwei Straßen sich kreuzen, weitet sich ein Platz, in der Mitte steht die kleine Kirche aus Feldsteinen. Jeden Monat einmal predigt hier der Pfarrer aus Diesdorf.
Familie Schmeiß bewohnt das letzte Haus im Dorf. In der linken Hälfte des Doppelhauses wohnt die Schwiegermutter mit vieren ihrer sieben Kinder. In der rechten lebt Kerstin mit ihrer Familie. Dahinter kommen nur noch die Gebäude der ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). Vor der Wende haben sie fast alle hier gearbeitet. Jetzt haben die Waddekather ihre Ländereien an Westbauern verpachtet. In der LPG stellt ein Torfstecher aus dem niedersächsischen Pladendorf seine Maschinen unter und experimentiert im Vorgarten mit einer Kreuzung aus Wild- und Hängebauchschweinen.
Die Schwiegermutter Schmeiß hat eine Schwäche für englische Namen. Ihre eine Tochter heißt Wendy, die andere Zendy. Den ältesten Sohn, den Kerstin später geheiratet hat, nannte sie Jan, ruft ihn aber Dschan. Früher war die Schwiegermutter Melkerin. Die Kühe grasten im Niemandsland. Abends schenkte sie in der Kneipe „für die paar Waddekather“ aus. Ab und zu kamen Grenzer vorbei, holten Zigaretten und aßen eine Bockwurst. „Ich habe zwanzig Jahre lang im Zaun gemolken. Wenn die so ein Endlager bauen, stehen wir doch wieder im Stacheldraht.“ Nach der Wende baute sie ihr Haus aus, installierte eine Heizung, deckte das Dach neu. „Ich will hier bleiben“, sagt sie.
Kerstin hat mit 24 ihr drittes Kind bekommen. David, man ruft ihn Daivid, ist acht Jahre alt. Daniel ist vier, Danin, die Tilla genannt wird, zwei. Seit der Demonstration in Waddekath gibt es die Bürgerinitiative Anti-Atom- Gruppe Waddekath, deren Vorsitzende Kerstin ist. Die Gruppe ist jetzt ein halbes Jahr alt, am Anfang waren sie 11, jetzt sind sie 25.
Kerstin bleibt nie lange an einem Platz sitzen und zieht alle Minuten ihre Jeans hoch, die über die Hüften rutscht. Nach der Schule hat sie eine Lehre als Köchin gemacht, später im Kindergarten von Diesdorf gearbeitet. Jetzt ist sie arbeitslos, fährt um halb sechs ihren Mann zur Frühschicht nach Gifhorn und kümmert sich um ihre Kinder. „Manchmal ist es hier langweilig“, sagt sie und will wieder arbeiten gehen. Seit es die Bürgerinitiative gibt, sitzt sie oft bis nachts an der Schreibmaschine und tippt Genehmigungsanträge, Briefe und Listen. In einem Aktenordner sammelt sie Zeitungsartikel. Mit Leuchtstift sind Überschriften angestrichen, „Zukunftsvision Altmark: Stacheldraht und Atommüll“ und „Steht Salzstock Waddekath an erster Stelle der Liste?“
Genau weiß im Dorf keiner, was geplant ist. Offiziell ist der Bürgermeister noch nicht über das Gutachten informiert worden. Der alte Bauer Körner vom anderen Ende des Dorfs zuckt mit den Schultern. „Wissen kann man es nicht, aber irgendwo muß doch der Name herkommen. Aus der Luft können sie es ja nicht greifen.“ Bundesumweltministerin Angela Merkel behauptet, daß Waddekath nie in der Diskussion war. „Das ist für mich 'ne Lüge“, sagt Kerstin. „Die machen hier Untersuchungen und behaupten, Waddekath sei nicht im Gespräch. Aber das steht doch im Gutachten drin.“
Im Januar hat es eine zweite Demonstration mit 700 Menschen im benachbarten Wittingen gegeben. Die Umweltministerin von Sachsen-Anhalt war da, der Kultusminister, eine Landtagsabgeordnete. „Wir haben nur ein Leben“, hat Kerstin von der Rednertribüne gesagt. „Traurig genug, daß wir kämpfen müssen, damit unsere Kinder in einer gesunden Umwelt aufwachsen können.“
In Waddekath ist nicht mehr viel los. „Der Zusammenhalt war früher besser, auch der Kontakt mit den Alten“, sagt Kerstin. Das Dorffest gibt es noch, ein Osterfeuer und ein Maifest. Nach der Wende hat sich jeder erst einmal um sich selbst gekümmert. Waddekath wurde eingemeindet und hat seither drei neue Straßenlaternen bekommen und Zuschüsse für einen Sportplatz. Dieses Jahr gibt es Geld für den Ausbau des Gemeindesaals. „Die Arbeit machen wir selber“, sagt Kerstin. „Denn das wollen wir von der Bürgerinitiative ja auch, daß das Dorf wieder zusammenkommt.“
Auf ihrem Schreibtisch liegt die vierte Fassung eines Briefs an die Bonner Umweltministerin. „Ich will wissen, was ist, wenn Gorleben fällt. Wo soll der Müll hin? Wir fahren zu Frau Merkel“, sagt Kerstin. Die Unterschriften, die auf der Demo gesammelt wurden, möchte sie persönlich übergeben. „Die sollen sehen, daß die Waddekather nicht auf den Kopf gefallen sind.“
Tilla kann noch nicht richtig sprechen und sagt meist nur „hä“. Manchmal sagt sie „Kerstin“, manchmal „Atom Seiße“.
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