■ Jelzin und Jawlinski spielen Katze und Maus
: Uneins über Einigkeit und doch geeint

Es gehörte noch nie zu den Stärken der fragilen russischen Demokratie, daß ihre politischen Akteure in der Lage gewesen wären, über ihren Schatten zu springen. Auch in anderen Gemeinwesen gibt es damit Schwierigkeiten. Doch in Rußland steht mehr auf dem Spiel. Und die Demokraten und Liberalen konnten es schon zweimal am eigenen Leib erfahren, wohin es führt, wenn jeder Koch seinen eigenen Imbiß aufmacht. 1993 schwappte es Chauvinist Wladimir Schirinowski nach oben ins Parlament, im vergangenen Dezember entzogen die Wähler außer dem Vorsitzenden der „Jabloko“ Partei, Grigori Jawlinski, allen anderen demokratischer Gesinnten ihre Lizenz, sie schafften nicht den Sprung ins Parlament und dürfen jetzt wieder für die Familie kochen.

Das Geplänkel zwischen Boris Jelzin und Ökonom Jawlinski erstaunt nicht, genauso wenig das Buhlen des bedrängten Präsidenten um Mitstreiter. Er hat es bitter nötig. Aber genauso ist Möchtegern-Pantokrator Jawlinski diesmal auf den Kremlchef angewiesen. Sollten die Kommunisten den nächsten Präsidenten oder gar Generalsekretär stellen, wären Jawlinskis Tage gezählt. Im ungünstigsten Fall gäbe es außer den Kommunisten bald keine andere Partei mehr. Ob sie dem egomanen Taktiker in ihren Reihen noch eine Heimat böte? Wenn ja, dann jenseits des Urals – als Kalfaktor vielleicht. Eine kommunistische Regierung, die sich indes an gewisse pluralistische Regeln hielte, würde auf Grund wirtschaftlicher Erfolglosigkeit und ihrer Versuche, gesellschaftliche Ausdifferenzierungen auszumerzen, bald massive Gegenwehr provozieren. Jawlinski wäre dann wieder einer von vielen. Nur trüge er die Hauptlast an dem Desaster.

Dennoch handelt er im Moment richtig. Der machtversessene Jelzin (eigentlich müssen sich beide bestens verstehen) hängt wacklig im Thron. Nur jetzt lassen sich ihm Zugeständnisse abpressen, die der Allgemeinheit am Herzen liegen. Diese zu formulieren, versteht Jawlinski: ein Ende des Krieges in Tschetschenien und Änderungen in Sozial- und Wirtschaftspolitik. Darüber hinaus einschneidende personalpolitische Konsequenzen in der jelzinschen Entourage. Betonköpfe und Apparatschiks raus. Ziele, die man allesamt unterschreiben kann. Sollte sich Jelzin tatsächlich darauf einlassen, bleibt die bange Angst: Verpaßt Grigori nicht wieder den entscheidenden Moment? Ihm werden nämlich Probleme mit der Zeitökonomie nachgesagt. Klaus-Helge Donath