Irrsinn und Bescheidenheit

■ Über den Otto-Mythos und warum Mario Basler gehen mußte

Sie werden jubeln. Sie werden kübelweise Häme ausgießen, wenn Werder in der nächsten Saison im einen oder anderen Spiel fußballerische Qualitäten zeigt. Kübelweise Häme über die Basleristen. „Haben wir doch schon immer gesagt“, werden die sagen, die es schon immer gesagt haben. „Ohne den sind die besser. Mit so einem kann man einfach nicht in einer Mannschaft zusammenspielen.“ Und sie werden sich freuen auf das erste Interview mit Loddar Matthäus. Wie der Pawlowsche Hund wird der reagieren, auf ihn, auf Mario Kopfkrank, auf Mario Fußgenial. Denn nun ist er weg aus Bremen – behauptet die Zeitung mit den großen Buchstaben. Noch wird zwar verhandelt, wieviel Geld die Bayern obendrauflegen müssen, wenn Herzog gegen Basler getauscht wird, aber daß Basler geht, das scheint sicher zu sein.

Es ist was Wahres dran an der simplen Feststellung, daß eine Mannschaft nur funktioniert, wenn sie sich auch als Mannschaft begreift. Da reicht im Zweifelsfall ein einziger hartnäckig Verrückter, um schlechte Stimmung zu machen. „Werder hat die besten Spiele der Saison gemacht, als Basler verletzt war“, wird Werder-Gastkommentator Pulß nicht müde zu betonen. Recht hat er. Leider.

Aber genau da wären wir beim Problem. Wer wollte ernsthaft bestreiten, daß Werder auf spielerische Extraklasse verzichten könnte, und wer, daß ebendieser Basler ein genialischer Fußballer ist? Von den Toren, die die anderen notorisch nicht schießen, ganz zu schweigen. Der Tricky-Freistoß gegen den 1.FC Köln am Samstag war nur der letzte Streich in einer ganzen Reihe von Finten, butterweichen Pässen, zentimetergenauen Freistößen mit Schmackes , sensationellen Sprints – kurzum: von alldem, was die ästhetische Lust am Fußballspiel ausmacht.

Dumm nur, daß sich die Guten in zwei Gruppen scheiden: die Bescheidenen und die Irren. Rune Bratseth war so ein Bescheidener, Klinsmann und Völler, Matthias Sammer und Dieter Eilts. Aber genialisch? Genialisch sind eigentlich nur die Irren. Gerade die schwer Erziehbaren sind es doch, die uns immer wieder in schiere Verzückung versetzen. Georgie Best, Diego Maradona, Paul Gascoine, Hristo Stoichkov, Eric Cantona und eben: Mario Basler. Auf so einen verzichtet der fußballerische Genußmensch nur selten. Muß er aber, wenn er das Pech hat, in Bremen zu wohnen.

Das erfolgreiche Kollektiv, in dem die Mannschaft alles, der Einzelne nur soviel gilt, als er sich und sein Können unterordnet – das ist der Otto-Mythos, der in Bremen fort und fort wirkt. Mittelmäßige Spieler schaffen den großen Wurf, die Besseren fügen sich oder müssen gehen. Gibt es ein stärkeres Angebot zur Identifikation in einer durch und durch sozialdemokratischen Stadt, der die Mitte als das Maß aller Dinge gilt? In diesem Mythos hätte Basler nur dann einen Platz, wenn er eben nicht Basler wäre. Werder war nicht in der Lage, so einen zu integrieren, seine Stärken zu schätzen und zu nutzen – und den bekloppten Rest auszuhalten. So gesehen ist Baslers Abgang folgerichtig. Es wird wieder ruhiger. Und langweiliger. Leider auch auf dem Platz. Jochen Grabler