Sparorgie stranguliert die Wirtschaft

■ Senat soll Neuverschuldung 1996 um 700 Millionen Mark erhöhen, rät das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Weiteres Sparen verursache mehr Konkurse und höhere Arbeitslosigkeit

Die Sparpolitik des Senats stößt bei Ökonomen zunehmend auf Kritik. Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin warnt davor, daß in der Berliner Wirtschaft „die Dämme brechen“. Der tiefe Griff der Großen Sparkoalition aus SPD und CDU in die Geldbeutel der VerbraucherInnen verstärke die Wirtschaftskrise anstatt sie zu lindern. DIW-Mitarbeiter Vesper schlägt vor, 700 Millionen Mark mehr auszugeben, als der Senat für 1996 eingeplant hat. Das solle man durch eine erhöhte Staatsverschuldung finanzieren.

Weil die Wirtschaft lahmt und die Arbeitslosigkeit grassiert, nimmt das Land Berlin im laufenden Jahr 700 Millionen Mark weniger Steuern ein als ursprünglich geschätzt. Mit Steuerausfällen in Höhe von 500 Millionen Mark hatten die SparkommissarInnen der Koalition schon gerechnet und sie deshalb aus dem Haushalt herausgekürzt. Etwa 200 Millionen Mark – genaue Zahlen liegen noch nicht vor – fehlen aber noch. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) will das Geld jetzt durch eine zusätzliche Haushaltssperre erwirtschaften.

„Falsch“, meint das DIW. Nicht weiteres Sparen, sondern etwas mehr Großzügigkeit sei jetzt angesagt. „Das ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht notwendig“, so Wirtschaftsforscher Dieter Vesper. Berlin brauche die 700 Millionen zusätzliche Staatsausgaben, um die Kürzung der Arbeitslosenhilfe durch die Bundesregierung auszugleichen. Leute mit geringem Einkommen seien schon genug gebeutelt und dürften nicht noch durch weitere Sparmaßnahmen des Senats belastet werden. Die nämlich würden die Einkommen der Bevölkerung schmälern. Ergebnis: Durch die schwache Nachfrage verkauften Handel und Gewerbe weniger Produkte, die Gewinne sänken und damit auch die Steuerzahlungen an das Land – ein Teufelskreis.

Dieselbe Argumentation trifft nach DIW-Angaben auch für den Hochschulsektor zu. Die Kürzungen bei Studienplätzen, Personal- und Sachausgaben müßten „abgemildert“, Ausgaben durch neue Bankkredite finanziert werden. Insgesamt würden 700 Millionen Mark Staatsausgaben eine zusätzliche Kaufkraft von 1,2 Milliarden Mark bei Konsum und Investitionen schaffen, die die Berliner Wirtschaft dringend brauche. „Ansonsten befürchte ich eine dramatische Entwicklung“, so Vesper, die letztlich in mehr Zusammenbrüchen von Firmen und höheren Arbeitslosenzahlen resultiere.

In seinem vor kurzem beschlossenen Nachtragshaushalt hatte der Senat bereits ein Finanzloch von 5,3 Milliarden Mark gestopft. Ergebnis: rigide Kürzungen bei Sozialwohnungen, Hochschulen, sozialen Projekten und Krankenhäusern. Nach Meinung des DIW sollte man mit weiteren Einsparungen in den Jahren 1996 und 1997 „sehr vorsichtig“ sein. Das Ziel, den Landeshaushalt zu sanieren und die gigantische Verschuldung von 6,1 Milliarden Mark (1996) zu verringern, stellt das DIW freilich nicht in Frage. Allerdings solle man damit warten, bis die Konjunktur in einigen Jahren besser laufe. „Es hat noch nie geklappt, die Staatsfinanzen in Zeiten einer Wirtschaftskrise zu konsolidieren“, erklärt DIW-Mitarbeiter Vesper.

Führende PolitikerInnen von SPD, Bündnisgrünen und PDS wenden sich demgegenüber vehement gegen die Erhöhung der Neuverschuldung. „Für uns ist das kein Thema“, so Frank Zimmermann, Sprecher der SPD-Finanzsenatorin. SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller unterstützt ihn: Alleine die Zinsen für die bereits aufgelaufenen Landesschulden von rund 42 Milliarden Mark und die notwenigen neuen Kredite würden im Jahr 1999 rund 40 Prozent der Berliner Steuereinnahmen ausmachen. Die Handlungsfähigkeit des Senates sei ernsthaft gefährdet.

Zur Deckung des neuen Finanzlochs fordern Bündnisgrüne und PDS übereinstimmend, die Gewerbesteuer für Unternehmen noch 1996 zu erhöhen, was rund 300 Millionen einbringe. Beide Parteien schlagen außerdem vor, bei Großprojekten wie dem Ausbau des Messegeländes und dem Tiergartentunnel zu sparen. Hannes Koch