Ein stolzer Csárdás-Kavalier

■ „Der Hauptmann von Muffrika“: ein Dokumentarfilm mit ausgeprägtem Stilwillen über die letzten Kriegstage im Emsland und eine blutige Köpenickiade

Muffrika. Kein schöner Name fürs Emsland. Aber so hieß der karge Landstrich an der deutsch- niederländischen Grenze nun mal früher bei den Einheimischen. Muffrika, das war für die „Emsköppe“ der Muff, der durch den Torfbrand schwer in den Häusern hing, und das war die Unwirtlichkeit Afrikas – komprimiert in einem Wort.

Die 15 Lager, ab 1933 hier errichtet, sollten nicht bloß NS-Gegner – darunter viele Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“ – zermürben. Die 80.000 KZ- und Strafgefangenen und 100.000 bis 180.000 Kriegsgefangenen, die bis 1945 die Straflager durchliefen, mußten das Moor kultivieren, unter erbärmlichen Bedingungen. „Wir sind die Moorsoldaten...“ sangen sie – viele von ihnen überlebten die Torturen nicht. Und mehr als hundert von ihnen überlebten den „Hauptmann von Muffrika“ nicht, den 19jährigen Willy Herold, Schornsteinfegerlehrling und Gefreiter aus Plauen.

In den letzten Kriegstagen im April 1945 landet der Fallschirmjäger Herold in Bentheim, verliert den Kontakt zu seiner Einheit, findet zufällig eine Hauptmannsuniform. Sie sitzt wie angegossen – physisch wie psychisch. Eine blutige Köpenickiade beginnt. Herold ist ab sofort der schneidige Hauptmann, der eines Tages im Lager Aschendorfermoor, vor den Toren Papenburgs, auftaucht. Einen Haufen befehls- und abenteuerhungrige Soldaten, schwer bewaffnet, hat er schnell beisammen. Im Lager läßt er die Gefangenen antreten, Nazi-Lieder singen, dann erschießt er sie, die Zigarette in der Hand. Die Soldateska zieht weiter, nach Papenburg, nach Leer/Ostfriesland. Mal knüpft man kurzerhand Fahnenflüchtige auf, mal werden „Saboteure“ „niedergemacht“, wie sich Zeugen erinnern.

Aus der Geschichte von Willy Herold, der mit 20 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt wird, haben Paul Meyer und Rudolf Kersting einen gewissermaßen naturnahen Dokumentarfilm gemacht. Mit wunderbaren Schwarzweißaufnahmen, die den Betrachter einsaugen in die von Kanälen durchzogene Moor- und Heidelandschaft links und rechts der Ems. Keine trockene Aufarbeitung von Fakten ist herausgekommen und keine psychologisierende Studie des Falles Herold.

Der Film, der am Wochenende im Papenburger Ems Center Kino seine niedersächsische Premiere feierte, setzt auf Emotionen, Irritationen. Statt mit moralisch korrekter Betretenheit kommt der Off- Kommentar im dynamischen Plauderton daher. Zu Archivbildern von halb im Moor versinkenden Pferden oder aus Herolds Kinderzeit gibt's schmissiges Liedgut vergangener Tage, z.B. die Schmalz- Nummer „Auch ich war einst ein stolzer Csárdás-Kavalier“.

„Der Film ist eigentlich ein Road movie“, sagt Agnes Ganseforth, verantwortlich für Schnitt und Ton. Ein abstraktes allerdings, das dem Weg von Bentheim nach Leer anhand von Film- und Fotodokumenten nachspürt, deren scheinbare Authentizität nicht ungebrochen bleibt: „Frauen“, liest man etwa als Insert, und zu sehen ist eine kokett ihr Kopftuch abstreifende Bäuerin – in Zeitlupe.

Die Landschaft indessen wurde mystifiziert, Meyer und Kersting haben Bilder ineinander kopiert, den Himmel über dem Emsland verwandelt in eine durch Zeitraffer verfremdete, tragisch-düstere Szenerie. Schnell wird klar, daß dieser ausgeprägte Stilwille der 1:1-Abbildung überlegen ist. Nämlich als Versuch, dem Chaos der letzten Kriegstage filmsprachlich gerecht zu werden. Daß das nur bedingt gelingen kann, versteht sich.

Auch die Zeitzeugen in Papenburg brachte Co-Regisseur Paul Meyer nur zum Sprechen, weil er Paul Meyer heißt, Papenburger ist und der Sohn vom alten Meyer, der Besitzer der Meyer-Werft. So bekam Meyer von dem einen altes 16-mm-Material und vom nächsten freimütige Erinnerungen ins Mikrophon gesprochen. Oder nicht ganz freimütige? Während eine Ladenbesitzerin sich erinnert, daß bestimmt kein Papenburger hingegangen ist zur öffentlichen Hinrichtung, die Herold in sadistischer Festtagslaune angeordnet hat, erinnert sich ein anderer, wie die Kinder sogar an den Beinen des Gehängten gezogen hätten.

Stille im Kino, als eine alte Dame, die Herold einst zu Willen sein mußte, aus den Prozeßprotokollen von 1946 verliest und stockt: Bei der Erschießung von fünf Holländern im „Schützengarten“ von Leer soll sie selbst habe schießen wollen? Zu Protokoll gegeben hat das Reinhard Freitag, Adlatus Herolds, der erst 1947 gefaßt wurde und mit acht Jahren Zuchthaus davonkam.

Herold selbst wird in Wilhelmshaven gefaßt und gibt sofort alles zu. Noch im Gerichtssaal lächelt er dem Staatsanwalt zu. Die Genugtuung, die Herold aus seiner Verrohung gezogen hat, steht in keinem Verhältnis zu seinem Schuldbewußtsein. Er hat gar keines. Typen wie er gab es viele – bloß hatten die in der Regel echte Offiziers-Epauletten. Das ist die wahre Geschichte hinter der des „Hauptmanns von Muffrika“. Alexander Musik

Der Film läuft vom 16.-22. 5. im Ems Center Kino Papenburg und ist als VHS-Videocassette zu erwerben, Kontakt unter Tel.: (04961) 49 71, 34,90 Mark