: Regierung will Autos beschlagnahmen
Ein Verkehrsvorsorgegesetz soll der Bundeswehr billige Transportmöglichkeiten für Out-of-area-Einsätze sichern. Konfiszierung auch bei AKW-Unfällen möglich ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Jeder Spediteur muß damit rechnen, demnächst Gewehre und Soldaten durch die Gegend fahren zu müssen. So sieht es das Verkehrsvorsorgegesetz vor, das die Bundesregierung noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen will. Im Paragraph eins heißt es umständlich genau: „Zweck dieses Gesetzes ist die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Verkehrsleistungen und die Unterstützung der Streitkräfte mit Verkehrsleistungen für den Fall, daß der Bedarf an Verkehrsleistungen auf andere Weise nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln gedeckt werden kann.“
Zwar soll nur ein „Krisenfall“ die Konfiszierung von Bussen, Lkw, Zügen und Schiffen rechtfertigen. Was aber ein Krisenfall ist, kann die Bundesregierung allein entscheiden. Nur wenn Bundestag und Bundesrat explizit die Aufhebung der entsprechenden Rechtsverordnungen verlangen, kippt die Entscheidung der Regierung.
Als Beispiele für die Anwendung werden zum einen Naturkatastrophen und Atomkraftwerksunfälle genannt. Zum anderen will die Bundesregierung aber auch sicherstellen, daß das deutsche Militär „zu flexibler Krisen- und Konfliktbewältigung im erweiterten geographischen Umfeld“ befähigt wird. „Die Bundeswehr trägt... durch den Dienst für den Weltfrieden... dazu bei, die politische Handlungsfähigkeit und Bündnisfähigkeit Deutschlands zu erhalten“, heißt es im Anhang zu der Begründung.
Weil die Bundeswehr nicht über genügend geeignete Schiffe und Frachtflugzeuge verfügt, um Menschen und Maschinen „weiträumig“ zu verlegen, will die Bundesregierung ihr auf dem zivilen Markt kostengünstige Transportkapazitäten sichern. Auch verbündete Armeen sollen in den Genuß der Vorzugsbedingungen kommen, wenn sie auf deutschem Boden aktiv sind.
Zwar sollen die Zwangsverpflichteten eine Entschädigung für ihre Mühen bekommen. Eine Chance zur Verweigerung haben sie aber nicht: Widersprüche und Anfechtungsklagen haben keine aufschiebende Wirkung. Hinzu kommt, daß Menschen und Betriebe, die in der Verkehrswirtschaft arbeiten, schon im Vorfeld zu uneingeschränkter Auskunft gegenüber den Behörden verpflichtet werden können. Wer sich querstellt, muß mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Mark rechnen.
Winfried Nachtwei, der für die Bündnisgrünen im Verteidigungsausschuß des Bundestages sitzt, sieht in dem Gesetz eine Gefahr für die Grundrechte auf Eigentum, berufliche Handlungsfreiheit und Kriegsdienstverweigerung. Er fordert, das Gesetz ersatzlos zu streichen. Winfried Wolf von der PDS- Bundestagsgruppe fürchtet sogar, daß bei künftigen Atommülltransporten das Gesetz zur Anwendung kommen könnte; schließlich ist die Beförderung gefährlicher Güter ausdrücklich genannt. „Selbst eine neue Ölkrise mit einem größeren Anstieg des Weltölpreises könnte schon für die Anwendung des Verkehrsvorsorgegesetzes ausreichen“, meint er. Schließlich werde bereits eine extreme Preissteigerungen für Verkehrsleistungen aufgrund einer Mangellage als Notstand definiert.
Nächste Woche wird sich der Verteidigungsausschuß des Bundestages mit dem Gesetz beschäftigen. Und auch der Rechtsausschuß hat es noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt. Nach der Zustimmung des Bundestags muß dann schließlich noch einmal der Bundesrat darüber beraten.
Die Ländervertreter wollten allerdings bei ihrer ersten Stellungnahme im vergangenen November nur Marginalien geändert haben. So forderten sie, daß das Gesetz nicht für Seilbahnen gelten soll. Die Bundesregierung nahm diese Marginalien wohlwollend in den Ursprungstext auf. Im Bundestag läßt die SPD derweil den Abgeordneten Gerd Höfer Empörung demonstrieren: Das Gesetz sei eine „Zumutung“.
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