: Gute Konjunktur für die Schlepper
■ Die Realität des „Asylkompromisses“: Zahl der AsylbewerberInnen von 450.000 auf 130.000 gesunken / 145.000 Menschen bereits an der Grenze abgewiesen
Innenminister Manfred Kanther (CDU) kann mit dem „Asylkompromiß“ weiter zufrieden sein. Während nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs bis zu 450.000 Menschen jährlich Asyl in Deutschland beantragten, ist die Zahl nach der Asylrechtsänderung um rund 60 Prozent gesunken: 1995 klopften nur noch 130.000 Menschen an.
Gleichzeitig stieg auch der Anteil der anerkannten Anträge wieder. Knapp über 10 Prozent der AsylbewerberInnen werden schon vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge anerkannt. Weitere 8 Prozent können die Anerkennung im anschließenden Verfahren vor dem Verwaltungsgericht erreichen.
Es ist dabei nur schwer zu sagen, ob der Rückgang der Anträge vor allem auf die Abschreckungswirkung der neuen Regelungen zurückzuführen ist oder ob Flüchtlinge, die eigentlich einen Asylantrag stellen wollten, gar nicht mehr ins Land gelassen wurden. Nach dem Asylbericht der Bundesregierung wurden 1994 rund 145.000 AusländerInnen an den deutschen Außengrenzen „aufgegriffen“ und sofort zurückgeschoben. Angeblich stellten nur etwa 2.000 von ihnen einen Asylantrag, der ihnen ohnehin nichts nützte, da sie über die Landgrenze immer aus einem „sicheren Drittstaat“ kommen.
Die Drittstaatenregelung hat damit den Schleppern Konjunktur verschafft. Denn viele Flüchtlinge können der Drittstaatenregelung nur dadurch ausweichen, daß sie illegal einreisen und anschließend ihren Fluchtweg verschleiern.
Bisher konnten solche Flüchtlinge zwar kein Asylrecht erhalten, aber ihr Schutzbegehren wurde nach einem ganz ähnlichen Verfahren geprüft. Paragraph 51 Ausländergesetz ordnet an, daß ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, in dem ihm politische Verfolgung droht. Auch die Gefahr der Weiterschiebung in den Verfolgerstaat gehört hierzu. Diese Bestimmung, mit der Deutschland die Genfer Flüchtlingskonvention umsetzte, verschaffte dem bedrohten Flüchtling also doch ein Bleiberecht, bis über sein weiteres Schicksal entschieden war. Mit Hilfe dieses Umwegs konnte man bisher immerhin eine Art Asylverfahren erhalten, wenn auch die Anerkennungsquote nach Informationen der Bundesregierung auf diesem Weg nur 3 Prozent beträgt.
Rund 4.800 Flüchtlinge kamen 1995 mit dem Flugzeug in Deutschland an. Nur 331 von ihnen wurde auch die Einreise nach Deutschland verwehrt. Sie mußten ihr Asylverfahren vom Transitbereich des jeweiligen Flughafens aus betreiben. Doch selbst unter diesen schwierigen Bedingungen gelang es in der Regel, Anwälte für die Flüchtlinge zu organisieren. Vor allem der Flughafensozialdienst am Frankfurter Airport hat sich hier große Verdienste erworben.
Der dritte neuralgische Punkt, die Einführung einer Liste „sicherer Herkunftsstaaten“, hat dagegen die Erwartungen der Bundesregierung voll erfüllt. Von rund 17.000 AntragstellerInnen wurden ganze 26 anerkannt, davon 13 aus Ghana.
Neben den Flüchtlingen sah sich auch das Verfassungsgericht als Leidtragender des neuen Asylrechts. So haben die Verfassungsbeschwerden von Flüchtlingen seit 1993 deutlich zugenommen. 1992 waren es noch 487, in den Folgejahren dann 1.021 (1993), 855 (1994) und 1.151 (1995). Die Erfolgsquote liegt, einer Gerichtssprecherin zufolge, „deutlich unter 10 Prozent“.
Hauptärgernis für die Karlsruher RichterInnen war jedoch, daß sie von Polizei und Verwaltung oft unter extremen Zeitdruck gesetzt wurden. Stellte ein Flüchtling einen Antrag auf einstweilige Verfügung, um seine Abschiebung zu verhindern, dann konnte das Gericht die Rückführung oft nur durch einen Anruf beim Bundesgrenzschutz in letzter Minute verhindern. Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach (SPD) sprach deshalb davon, das neue Asylrecht sei „mit heißer Nadel gestrickt“ worden.
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