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„Versöhnung“ heißt Shells Zauberwort

Obwohl weitere Hinrichtungen drohen, will sich Shell-Chef in Nigeria nicht einmischen. Kritische Fragen auf Hauptversammlung in London. 1996 begann für Shell mit Rekordgewinnen  ■ Aus Dublin Ralf Sotschek

Eine Schweigeminute für den nigerianischen Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa, wie es der Shell-Aktionär Charles Medawar gefordert hatte, wollte er nicht zulassen. Aber der britische Shell-Vorstandsvorsitzende John Jennings schlug den 700 Aktionären bei der Jahresversammlung des Mineralölkonzerns in London am Mittwoch statt dessen „ein paar Augenblicke ruhiger Reflexion im Geist der Versöhnung“ vor.

„Zu viele Leben sind bei Hinrichtungen, durch Mord an Gemeindeführern und wegen des ethnischen Konflikts verloren worden“, sagte Jennings. „Ich glaube fest daran, daß die Zeit gekommen ist, eine Versöhnung anzustreben.“

Bei den DemonstrantInnen der „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“, die vor dem Königin-Elisabeth-Konferenzzentrum mit Trommeln, Spruchbändern und einem Galgen gegen die Shell- Politik protestierten, lösten Jennings' Worte Mißtrauen aus. Schließlich hatte der Ölmulti keinen Finger für Saro-Wiwa und seine acht Ogoni-Mitangeklagten gerührt, die im vorigen November wegen angeblicher „Aufwiegelung zum Mord“ gehängt wurden. Die neun gehörten zu den schärfsten Kritikern von Shell, das im Niger- Delta eine ökologische Katastrophe angerichtet hat.

Und Jennings lehnte es am Mittwoch entschieden ab, Shells Einfluß bei der nigerianischen Militärregierung zugunsten 19 weiterer Ogoni-Angeklagter geltend zu machen. Den 19, die seit zwei Jahren einsitzen, gelang es, einen Brief aus dem Gefängnis zu schmuggeln, in dem sie die unmenschlichen Haftbedingungen beschreiben.

So sind sie mit hundert weiteren Gefangenen in einer Zelle eingepfercht, ihr Trinkwasser ist mit Exkrementen verschmutzt, und sie dürfen sich nur zweimal in der Woche in einer Grube waschen, in der früher die Leichen von Gefangenen gelagert wurden.

Jennings sagte dazu, Shell dürfe sich nicht in die juristischen Angelegenheiten des Landes einmischen. Doch mußte er erstmals zugeben, daß Shell 100 Pistolen für die nigerianische Polizei gekauft habe, die die Shell-Operationen im Ogoni-Land geschützt hätten. Und Shell möchte wieder im Ogoni- Land aktiv werden, sagte Jennings. Man sei bereit, das „Gebiet zu säubern, ohne Fragen zu stellen“.

Die Fragen kamen von den Aktionären. Jennings mußte zugeben, daß die Sorgfalt beim Bohren in Nigeria niedriger gewesen sei als bei anderen Shell-Operationen. In Nigeria habe es mehr geplatzte Leitungen gegeben.

Der Chef der nigerianischen Shell-Niederlassung, Brian Anderson, hatte am Montag bei einem Deutschlandbesuch behauptet, bis zu 60 Prozent der Vorfälle, die eine Umweltbelastung in den Shell-Anlagen auslösten, seien auf Sabotage zurückzuführen. „Leider sieht man es Ölleitungen auf den veröffentlichten Bildern nicht an, ob sie mutwillig zerstört wurden“, sagte Anderson. Außerdem habe der Ölmulti in das „Großprogramm zur Modernisierung unserer Anlagen“ allein im Jahr 1995 über 100 Millionen Dollar gesteckt, in diesem Jahr kämen 90 Millionen hinzu.

Ein Klacks im Vergleich zu den Rekordprofiten, die Shell eingefahren hat. Höhere Ölpreise, Verbesserungen in den Raffinerien, das kalte Wetter und Entlassungen haben dazu beigetragen, den Nettoprofit auf umgerechnet rund zweieinviertel Milliarden Mark im ersten Vierteljahr hochzutreiben – eine Steigerung von stolzen 87 Prozent im Vergleich zum ersten Vierteljahr 1995. Und vorgestern sind die Aktien um weitere 25 Pence auf 9,39 Pfund gestiegen, weil das Gerücht aufkam, der Konzern sei vor der Küste Perus auf riesige Ölvorkommen gestoßen.

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