: Ein blauer Brief für den schwarzen Riesen
■ Jetzt hält auch die Bundesrepublik die Konvergenzkriterien für die Währungsunion nicht mehr ein – dafür aber Dänemark, Irland und Luxemburg
Brüssel (taz) – Just als Euro- Musterschüler Helmut Kohl (CDU) der EU-Kommission seinen Höflichkeitsbesuch abstattete, setzte es eine Rüge. Die Kommission gab bekannt, daß Deutschland die „Konvergenzkriterien“ für die Währungsunion derzeit nicht einhält. Kohl nahm's ungerührt: „Ich beteilige mich nicht mehr an Spekulationen über den Teilnehmerkreis der Währungsunion.“
Auch die Kommission versuchte, keine Hektik aufkommen zu lassen. „Der Zeitplan für die Währungsunion ist realistisch“, so der zuständige Kommissar Yves- Thibault de Silguy. Derzeit entspricht allerdings nur noch Luxemburg den Kriterien niedrige Inflation, niedrige Neuverschuldung, niedriger Gesamtschuldenstand, Teilnahme am Europäischen Währungssystem sowie niedrigen Zinssätzen. Im entscheidenden Jahr 1997 soll laut Kommission auch Frankreich wieder mit an Bord sein. Für Deutschland wurde keine ausreichende Besserung erwartet.
Im Blickpunkt stehen vor allem die beiden Konvergenzziele, die mit den öffentlichen Haushalten zu tun haben. Die jährliche Neuverschuldung des Staates darf dabei 3 Prozent des Bruttosozialproduktes (BSP) nicht übersteigen. In diesem Jahr werden diesem Wert nur Luxemburg, Dänemark und Irland gerecht. 1997 werden nach Ansicht der Kommission noch Finnland, die Niederlande, Deutschland und Frankreich hinzustoßen. Während für Deutschland in diesem Jahr 3,9 Prozent Neuverschuldung geschätzt werden, soll der Wert dann nur noch bei 2,9 Prozent liegen.
Die Prognose der Kommission steht jedoch auf wackeligen Füßen. De Silguy unterstellte einfach die vollständige Umsetzung der von den Regierungen angekündigten Sparpakete – obwohl diese noch umstritten sind.
Beim Gesamtschuldenstand ist 1997 laut Kommission keine wesentliche Besserung zu erwarten. Nach wie vor beträgt die öffentliche Gesamtverschuldung nur in drei Staaten (Luxemburg, Großbritannien und Frankreich) weniger als 60 Prozent des BSP. Deutschland liegt mit 61,5 Prozent (1996) und 62,4 Prozent (1997) deutlich darüber. Die Kommission wird daher dem EU-Ministerrat vorschlagen, in diesem Jahr auch der Bundesregierung einen „blauen Brief“ wegen „exzessiven Defizits“ zu schicken.
„Blaue Briefe“ sollen außer Deutschland noch elf andere Mitgliedsstaaten erhalten. Verschont bleiben nur Luxemburg, Irland und Dänemark. Die Dänen würden damit in diesem Jahr zum ersten Mal von der EU-Kritik verschont. Auf den ersten Blick verwundert das Lob für Kopenhagens Haushaltspolitik, denn mit 71 Prozent Gesamtverschuldung im Jahr 1995 hat Dänemark den Konvergenzwert von 60 Prozent noch lange nicht erreicht. Ein Blick in den Maastrichter Vertrag lehrt jedoch, daß auch die „hinreichend rasche Annäherung“ an die 60- Prozent-Grenze belohnt wird. Aus demselben Grund blieb auch Irland vom „blauen Brief“ verschont. Diese bereits im Vertrag angelegte Aufweichung der Kriterien dürfte aber der Bundesrepublik nichts nützen, da hier das Defizit steigt und steigt. Kohl wies dennoch alle Spekulationen über eine Änderung der Kriterien von sich: „Wenn man erst mal ins Schwimmen gerät, dann schwimmt man dahin.“
Entschieden wandte sich EU- Kommissar de Silguy gegen den Vorwurf, die Sparoperationen seien mitverantwortlich für die hohe, weiter wachsende Arbeitslosigkeit in Europa (die Quote betrug im März 11 Prozent, was 18,3 Millionen Arbeitslosen entspricht). „Wenn wir aufhören, die Haushalte zu stabilisieren, wird das zu noch mehr Arbeitslosigkeit führen.“ Er verwies auf die negative Reaktion der Finanzmärkte, die die europäischen Währungen in diesem Fall massiv unter Druck setzen würden. „Dann muß man die Zinsen erhöhen, und die Konjunktur kommt erst recht nicht in Gang.“ Christian Rath
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