piwik no script img

Bewahr, o Herr, uns ...

Meister ist Dortmund. Absteigen müssen Uerdingen und Frankfurt. Aber noch einer muß heute die Bundesliga verlassen: Der 1. FC Kaiserslautern? Der 1. FC Köln? Oder vielleicht doch Leverkusen? Wer betet besser? Nun, Schicksal, mußt du dich entscheiden!

Vor kaum einer Woche war Maria Brunn (78) noch ohne jede Hoffnung. „Das schaffen die nimmer, da ist zuviel schiefgelaufen“, seufzte da die Schwiegermutter von Co Prins, dem holländischen FCK-Genius der frühen Bundesligajahre Dann aber kam der nicht mehr für möglich gehaltene Kaiserslauterer Sieg gegen Hansa Rostock. Und plötzlich sind alle wieder obenauf, angesteckt von dem Gefühl: „Wir packen's noch!“ Die zwei Tore von Pavel Kuka haben dem Betzenberg seine Ehre wiedergegeben, die Heimbilanz ist jetzt ausgeglichen. Einen Abstieg im eigenen Stadion zu erleiden wäre für Mannschaft und Fans einfach zuviel gewesen.

Geglaubt hatten nicht mehr viele an das „Wunder“, eher gehofft und des lokalen Literaten Michael Bauers „Gebet geje de Abstiech“ zum Durchhalten bemüht: „Bewahr, o Herr, de Betze vor dem Los ...“ Sogar Kerzen wurden gestiftet im Speyerer Dom. Und, o Wunder, heute zwischen 15.30 und 17.15 Uhr hat der FCK sein teuflisches Schicksal tatsächlich selbst in der Hand. „Seit sechs Spielen“, lobt Trainer Eckhard Krautzun seine allseits kritisierte Taktik, „sind wir jetzt ungeschlagen. Gegenüber Leverkusen sind wir psychologisch im Vorteil.“ Stimmt, beim 1. FCK ging's die ganze Zeit aufwärts, Bayer dagegen rutschte in den Keller. Die meisten Spieler würden Krautzun gerne behalten, weil er gegenüber Brehme Rückgrat gezeigt hat. Doch noch ist der Trainer keine Bank auf dem Betzenberg. Dank Hans-Peter Briegel. Der ehemalige Nationalspieler, als Trainer in Wattenscheid gescheitert, hatte sich selbst über einen befreundeten Journalisten einer Regionalzeitung als „ehrenamtlicher Berater“ beim 1. FCK ins Gespräch gebracht. In der Not griff das Präsidium zu, und seither kritisiert Briegel alles und jeden: Da ist Friedel Rausch an allem schuld, und Krautzun spielt(e) zu wenig Risiko. Der Trainer war verstimmt, bis vor dem Rostock- Spiel das Dementi folgte. War nicht so gemeint!

Die Spieler, die auch bei einem Abstieg in Kaiserslautern bleiben würden, haben sich längst für den Trainer entschieden. Doch das Präsidium bleibt weiterhin seiner Linie treu und zögert. Wie letzten Herbst, als man zwei gute Spieler hätte kaufen müssen, wie im Dezember, als man sich von Friedel Rausch hätte trennen müssen. „Wenn der 1. FCK absteigt, ist die Vereinsführung schuld“, sagt Maria Brunn. Und diese Frau muß es mit 33 Jahren Bundesligaerfahrung auf dem Buckel ja wissen. „Der Geye hat falsch eingekauft, und das Präsidium hat zugesehen!“ Weshalb langjährige FCK-Fans auch für den Fall, daß das Wunder eintreten sollte, eine Reform an Haupt und Gliedern fordern. Doch die Trennung von einigen Spielern ist das eine, Selbstkritik der Verantwortlichen das andere. Bei einem Sieg heute wären ihre Posten erst einmal wieder sicher. Das Budget von 34 Millionen Mark bliebe das alte, Brehme, Wagner, Kuka und Kadlec würden nicht den Verein wechseln und anstatt 25.000 Zuschauern in der zweiten Bundesliga kämen wieder 25.000 mit Dauerkarten zu Erstbundesligaspielen auf den „Betze“.

Daß das alles so kommt, daran glaubt auch Maria Brunn wieder: „Es liegt in der Luft. Wie 1965, als sie nach Frankfurt gefahren sind und gewinnen mußten. Da haben der Co Prins und der Willi Wrenger zwei Tore gemacht. Wir haben 2:1 gewonnen und sind nicht abgestiegen.“ Günther Rohrbacher-List

Vor zwei Jahren war das noch eine wirklich gute Sache, das mit dem Abstieg, der dann ja nicht stattfand und deswegen ja auch gut war. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Am Ende dieser Saison sieht's deutlich beschissener aus. Was nicht meine Worte, sondern in etwa die des großen Wolfgang Overath vom letzten Samstag sind: „Das wird 'ne Scheißwoche“, soll „Wölfi“ gesagt haben. Hat er recht, obwohl sie ja auch noch nicht ganz rum ist. Und irgendwie ist der Mann vielleicht nicht völlig unschuldig am heutigen Tag. Schließlich hat er sich bei der Hauptversammlung im letzten Jahr um das verantwortungsvolle Amt des Präsidenten gedrückt, obwohl ihn jeder haben wollte.

Ganz im Gegensatz übrigens zu Stefan Kohn. Er ist, um mal eine Anleihe bei John Belushi zu machen, „The Thing That Wouldn't Leave“. Der Versuch, ihn endgültig an Schalke loszuwerden, blieb erfolglos. So häufig wie wahrscheinlich kein zweiter in der Liga traf Kohn den Pfosten oder plazierte den Ball knapp daneben. Das wiederum gefiel Manager Bernd Cullmann gleich so gut, daß er sich und Kohn ein völlig unnötiges Denkmal setzte: Dreijahresvertrag – für Kohn. Hätte er sich gleich doch einen mitgegeben. Cullmann machte es nach Vertragsabschluß kaum noch drei Wochen. Wobei wir dann irgendwie auch schon bei Paragraph 11 wären und den beiden Spezialisten für Langsamkeit, den Spielern Rico Steinmann und Reinhard Stumpf. Die drohen nämlich, jenen zu ziehen. Bedeutet: Gleiche Bezüge noch ein weiteres Jahr, Leiden für die Anhänger in Bundes- oder zweiter Liga inklusive. Und es fragt sich (wieder einmal), wer das im armen Geißbockheim bezahlen soll. Eine Frage, die bei Gegner Hansa Rostock, wenn auch unbeabsichtigt, vor Saisonbeginn geklärt worden ist. 60.000 Mark Prämie können die Nordostdeutschen für den Fall einsacken, daß sie sich für den UEFA-Cup qualifizieren sollten. Und schließlich steht beim Spiel in Rostock noch eine Menge Streß bevor. Seit mehr als drei Monaten planen vor allem die ausländischen Hooligans im Kölner Mob, den als rechts verschrienen Rostockern kräftig einen einzuschenken. Im Falle eines Kölner Abstiegs sicherlich noch ein bißchen mehr. Deswegen steht das Spiel unter Sicherheitsstufe 1. Viel Polizei wird dasein, nicht alle Tickets gelangten in den freien Verkauf. Die nach Köln kamen, waren sofort weg.

Ähnlich gut ging diese Woche auch die örtliche Boulevardzeitung „Express“ über die Kiosktheken der Stadt. Sicherlich auch, weil ein Bonner Arzt angeblich drei Frauen geköpft haben soll, vor allem aber wegen des Sportteils, der mit reißerischen Inhalten zu glänzen wußte. Zu Beginn der Woche wurde dort erst einmal solide auf den beiden Frauen der Spieler Illgner und Weiser rumgeprügelt: Sie interessierten sich nicht für einen Verbleib des Klubs in der ersten Liga. Mittlerweile haben Bianca (Illgner) und Sonia (Weiser) das Mißverständnis beseitigt, sich entschuldigt. Und Pablo Thiam hat am Donnerstag eine Kerze im Dom aufgestellt. Hab' ich auch schon mal versucht. Resultat: Auswärtsniederlage bei St. Pauli. Kerze, Norddeutschland, klingt alles nicht so gut. Thomas Lötz

Die mit Abstand beeindruckendste Szene, die uns Sat.1 in dieser Saison in die heimische Stube brachte, nahmen Kameras am „Tag der Arbeit“ in der Uerdinger Grotenburg auf. Zuerst zeigte man eines der drei siegbringenden Tore der Gastgeber. In der folgenden Einstellung sah man die Wiederholung dieses Tores im Gesicht des Managers von Bayer 04 Leverkusen miterleben. Aus tiefen Höhlen folgten Reiner Calmunds angstvoll aufgerissene Augen dem Uerdinger Angriff, sein Kinn begann zu zittern. Die Vibration verstärkte sich, wurde immer heftiger. Und beim Schuß weiteten sich die Augen ein letztes Mal. Danach kam ein Moment völliger Erschlaffung und Zusammensackens. So sehen Leute aus, bei denen das letzte Sekündchen gerade in Form einer Herzattacke einsetzt.

Dieses beunruhigende Bild vor Augen, könnte man annehmen, es gäbe wirklich wenigstens einen, mit dem man im Falle des Leverkusener Bundesliga-Abstiegs Mitleid haben könne, müsse oder solle. Muß man nicht, auch wenn Reiner Calmund ein ganz okayer Typ ist.

Im übrigen muß es einem auch um Rudi Völler nicht allzu traurig sein, von wegen Abstieg beim Abschied. Liga-Nachfolger auf dessen Platz als netter, grundsolider „Mensch“, den alle Welt mag, und der – ganz wichtig – nie abgehoben ist, wird wahrscheinlich Markus Babbel werden. Völler geht ja nicht. Er kommt. Als rechte Hand von Calmund auf die Management-Etage des Ulrich Haberland-Stadions.

Dort können die beiden – unabhängig, ob erstklassig oder nicht – mit einem Neuaufbau beginnen. Wobei, was heißt eigentlich Neuaufbau? Denn, wenn es ein Bundesliga-Team gibt, das mittlerweile eigentlich so ziemlich jede denkbare Variante von Neuaufbau (Brasilianer, U-21-Nationalspieler, Ostdeutsche, Senioren, „unkonventioneller“ Jugo-Trainer, ehemalige Opel-Berater) durchgespielt hat, dann ist es mit Sicherheit Leverkusen. Jedoch ohne damit andauernd größere Erfolge zu haben.

Bei allen Neudefinitionen, die Calmund in den letzten Jahren vorgenommem hat: Leverkusen hat im Grunde kein Image (und damit wenig Fans) außer dem bedauerlichen, ein „Werksklub“ zu sein. Einer, der ohnehin nie absteigt, weil Bayer (das Werk) ja immer ausreichend Kohle hineinstopft. Diesen Glauben draußen im Lande konnten auch die Dementis der Führungsetage nie erschüttern.

So könnte das für viele Unglaubliche heute mit einem kleinen „Schwupp“ wahr werden. Und sollte es ausgerechnet das immer gutsituierte Bayer Leverkusen erwischen, so wäre das weniger ein Resultat verfehlter Einkaufspolitik (Schuster, Ribbeck), Versagen der Verwaltungsebene (Calmund, Vossen) oder die vielfach zitierte „mangelnde Erfahrung im Abstiegskampf“.

Nein, dieser Verein ist an sich selbst gescheitert, am Glauben an die falsche Illusion. Das ist eine Zeit, in der sich die gesamte Fußball-Landschaft, ihre Rezeption und Aufbereitung schnell und massiv verändern. Nun könnte mit Leverkusen ausgerechnet jener Verein scheitern, der das Prinzip Veränderung durchprobiert hat wie sonst keiner. Es stimmt: Weil er darauf angewiesen war wie sonst keiner. Nur – irgendwann hätte einer merken können: Es funktioniert nicht. T. L.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen