: Farbecht oder grüne Tünche?
■ Die Vielzahl der Öko-Label stiftet so sehr Verwirrung, daß manche Verbraucher im Warendschungel vor lauter Etiketten die Ökologie nicht mehr erkennen. Auch der Bundesverband der Naturkosthändler ist jetzt mit e
Ökologie ist eine komplizierte Angelegenheit – aber auch ausgesprochen umsatzfördernd. Rund 80 Prozent der Bundesbürger halten sich selbst für umweltbewußt, immerhin noch 60 Prozent erklären ihre Bereitschaft, auch das persönliche Verhalten in diesem Sinne zu ändern. Den guten Willen in die Tat umzusetzen erfordert indes allein beim täglichen Einkauf Dutzende von diffizilen Einzelentscheidungen: Welches Gemüse ist das gesündeste, welcher Kaffee der pestizidfreieste, welcher Lack der lösemittelärmste, welche Windel die sauerstoffgebleichteste?
Entsprechend werden die Konsumenten beim Gang zwischen den Regalen der Warenwelt mit einschlägigen Hinweisen geradezu bombardiert. Einen Fußbodenbelag zu kaufen, der nicht das Siegel der „Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden“ (GUT) trägt, ist beispielsweise schlechterdings kaum möglich. Der Marktanteil der solcherart ausgezeichneten Ware liegt bei rund 80 Prozent und entspricht damit dem Umsatz der Firmen, die sich unter dem Dach der GUT zusammengeschlossen und die Kriterien für das ihren Produkten anhaftende Etikett „Teppichboden – schadstoffgeprüft“ festgelegt haben. Dementsprechend besagt dieses Siegel denn auch nicht viel mehr, als daß die gesetzlichen Richtwerte eingehalten werden.
Auch das Konkurrenzprodukt ist privater Herkunft. Der auf hochwertige Qualität spezialisierte Teppichhersteller „donau-tufting“ aus Denkendorf hat das „greenline“-Label kreiert. Allerdings sind dessen Richtwerte ungleich strenger und werden von unabhängigen Labors überwacht. Die Situation bei den Auslegewaren ist somit exemplarisch: Ob Möbel, Textilien oder Reinigungsmittel, fast jeder Branchenverband hat irgendwelche Kriterien für eine umweltgerechte Produktionsweise erlassen, mit deren Einhaltung die einzelnen Mitglieder Reklame machen dürfen. Und fast in jedem Bereich gibt es kleine Firmen, denen diese Anforderungen nicht weit genug gehen und die mit eigenen Öko-Siegeln auf ihre besonders hohen Maßstäbe auf sich aufmerksam machen wollen.
Die Frage für die Verbraucher lautet natürlich: Wie können sie das eine vom anderen unterscheiden? Eine halbwegs zufriedenstellende Antwort läßt sich eigentlich nur im Lebensmittelbereich finden, denn hier ist zumindest der Begriff „ökologischer Landbau“ durch die EU-Verordnung gesetzlich geschützt.
Trotzdem herrscht auch auf diesem Sektor eine mitunter skurril anmutende Begriffsverwirrung. Wer zum Beispiel hinter dem „Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen e.V.“ einen Bund von Öko-Aktivisten vermutet, sieht sich getäuscht. Initiatorin ist vielmehr die „Gutshof Ei GmbH“, die bei der Produktion von rund zwei Milliarden Dottern pro Jahr zumindest bislang eher konventionelle Methoden bevorzugte. Eine ökologische Läuterung des Eier-Multis wäre zwar zu begrüßen, muß aber als unwahrscheinlich gelten. Viel plausibler scheint der „Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau“ (AGÖL) die Vermutung, daß die vermeintlich alternativen Hühnerzüchter ihren Verein nur zu Werbezwecken ins Leben riefen. Die „Koordinationsstelle irreführende Biokennzeichnungen“ der AGÖL läßt deshalb zur Zeit gerichtlich prüfen, ob die Verwendung des Begriffs „alternativ“ nicht eine bewußte Irreführung der Verbraucher darstellt.
Klarheit schaffen möchte dagegen der „Bundesverband Naturkost Naturwaren“ (BNN). Gleich zwei Öko-Label haben die drei Teilverbände (Einzelhandel, Großhandel und Hersteller) ins Leben gerufen: Ende 1995 präsentierten die BNN-Hersteller ein Warengütezeichen, das nach umfassender Prüfung an bislang knapp 900 verschiedene Produkte vergeben wurde. Zwar tragen bislang größtenteils Lebensmittel sowie einige Kosmetika das Siegel („zertifiziert gemäß den ökologischen Verarbeitungsrichtlinien des BNN“), doch gedacht ist das Prädikat für Naturwaren aller Art. Dem „Bundesverband Naturkost Naturwaren“ geht es dabei nicht nur um die Herkunft der Rohstoffe, sondern auch um Verarbeitung, Verpackung und Transport. Lizenznehmer können nicht nur BNN-Mitgliedsunternehmen werden, sondern jeder Betrieb, der sich der Kontrolle des Verbandes unterwirft. Es gibt allerdings, so berichtet BNN-Mitarbeiterin Dagmar Burtschell, auch Mitgliedsunternehmen, die auf das Zertifikat ihres Dachverbands verzichten: „Denen reicht ihr Markenname.“
Ähnlich wie das Warenzeichen funktioniert auch das Betriebszeichen des BNN, nur daß hier eben nicht einzelne Produkte ausgezeichnet werden. Vielmehr erhält das große „N“ für Natur, das nach den Vorstellungen des Verbandes einmal einen ähnlichen Wiedererkennungswert besitzen soll wie das „A“ für Apotheke, jeder Naturkostladen, der sich den jährlichen Kontrollen durch den BNN unterwirft. Bislang tragen das Zeichen bundesweit rund 430 Geschäfte. Eine ganz ähnliche Idee hatte vor rund zwei Jahren auch schon die Bonner Verbraucherinitiative; zwar unter weniger strengen Kriterien, aber dafür auf sämtliche Einzelhandelsbetriebe ausgerichtet. Ein von einer unabhängigen Jury vergebenes Umwelt-Logo sollte an der Ladentür für solche Geschäfte werben, die – je nach Branche verschiedene – Öko-Kriterien erfüllen. Mit Unterstützung durch das Umweltbundesamt wurde das Hannoveraner „Institut für Markt- Umwelt-Gesellschaft“ (imug) mit der Ausarbeitung eines Anforderungskatalogs beauftragt. Im Juni 1994 lag das gut hundert Seiten starke Werk vor; die daraufhin folgenden Presseberichte riefen allerdings erheblichen Widerspruch, insbesondere der größeren Einzelhändler, hervor.
Was inzwischen aus der Idee wurde, so imug-Mitarbeiter Ingo Schoenheit, „ist eine gute Frage“. Derzeit wird noch über die Finanzierung verhandelt, doch es drängt sich der Eindruck auf, als sei das Interesse der Bundesregierung an einem unabhängigen Öko-Label etwas erlahmt. Die für das Umweltbundesamt zuständige Ministerin, so Schoenheit, „setzt vielleicht eher auf die Selbstverpflichtung der Wirtschaft“. Wäre ja nicht das erste Mal. Jochen Siemer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen