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■ Bonn apartVon intelligenten Flegeln und alteingesessenen Grafen

Wo ist er denn nun, der unabhängige, attraktive Kanzlerkandidat, mit dem die Sozialdemokraten nach dem Willen ihres ungebetenen Ratgebers Joschka Fischer in den Bundestagwahlkampf 1998 ziehen sollen? Ernsthaft gesucht hat diesen Wundermann noch niemand, und so kam in Bonn bald der Verdacht auf: Wen könnte der Frankfurter denn gemeint haben? Redet der Joschka Fischer etwa von sich selbst?

Schließlich traut auch Parteifreund Jürgen Trittin dem ewigen Konkurrenten um die Mediengunst große Aufgaben zu. Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau empfahl der Parteisprecher kürzlich, den Grünen- Fraktionschef zum Präsidenten zu machen – allerdings zum Präsidenten des Traditionsvereins Eintracht Frankfurt, der in dieser Saison den Klassenerhalt verspielte. Die historische Begründung Trittins mit Anspielung auf die Jahre 1990 bis 1994: „Der Fischer hat schon bei den Grünen bewiesen, daß er einen Absteigerverein in die erste Liga zurückführen kann.“

Übertriebene Feinfühligkeit und allzu gute Manieren würden den Frankfurter Ex-Sponti im harten Fußballgeschäft sicherlich nicht behindern. Die Rauhbauzigkeit Fischers bekommt schließlich auch der politische Gegner in Bonn zu spüren. „Der Fischer“, so urteilte kürzlich der FDP-Ehrenmann Otto Graf Lambsdorff vor Journalisten, „ist erstens natürlich ein Flegel, zweitens natürlich ein intelligenter Flegel und drittens ein sehr aufmerksamer Beobachter und Leser.“

Offensichtlich beeindruckt hatte den 69jährigen Grafen, der seit 24 Jahren im Bundestag sitzt, die Bandbreite von Fischers Neugierde. Für die Neue Zürcher Zeitung hatte Lambsdorff einen wirtschaftspolitischen Beitrag über Freihandel und Globalisierung geschrieben, der nach seiner eigenen Einschätzung nicht eben leicht zu verstehen war. Fischers Aufmerksamkeit aber entging der Fachaufsatz in der Schweizer Zeitung nicht. Er las ihn aufmerksam und verwickelte dessen Autor später am Rande des Bundestagsplenums in einen Disput.

Pikant wird die Erfahrung des Marktliberalen mit dem Ex-Straßenkämpfer vor allem, wenn man das Verhalten der liberalen Parteifreunde berücksichtigt: Der ehemalige Wirtschaftsminister Lambsdorff hatte seinen Aufsatz fotokopieren und in der eigenen Fraktion verteilen lassen: Wichtige Einsichten müssen schließlich unter die Leute, wenn sie wirken sollen. Aber im Gegensatz zu Fischer interessierten sich die FDP-Abgeordneten offensichtlich nicht für die Thesen ihres wirtschaftspolitischen Sprechers – zumindest sprach kein einziger FDP-Parlamentarier Lambsdorff auf seinen Aufsatz an. Hans Monath

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