: Grüne Basis ist Rot-Grün nicht grün
■ Grüner Parteitag in Schleswig-Holstein entscheidet heute über Koalitionsvertrag: Autobahn führt zu Streit
Kiel (taz) – Scheitert die rot-grüne Koalition in Schleswig-Holstein heute an der grünen Basis? Während sich die SPD- Spitze sicher sein kann, daß eine große Mehrheit ihrer 170 Delegierten für ein gemeinsames Regierungsbündnis stimmen wird, wagt die grüne Führungsspitze keine Prognose mehr, wie der heutige Parteitag ausgehen wird. Auf den Kreismitgliederversammlungen in den letzten Tagen war die Meinung zur Koalition mit den Sozialdemokraten geteilt: Sechs Kreise stimmten für den Koalitionsvertrag, fünf dagegen, und in einem gab es ein Patt. Drei weitere Kreise tagten erst gestern abend nach Redaktionsschluß.
Entscheiden werden heute jene 129 grüne Delegierte, die schon im November vergangenen Jahres das eindeutig auf Rot- Grün angelegte Wahlprogramm verabschiedet haben: „Knackpunkte gibt es für uns nicht, wir wollen Rot-Grün.“ Auf fast 20 Seiten hat die Führungsriege ihre Bilanz der Koalitionsgespräche – unterteilt in „Erfolge und Kompromisse mit positiver Tendenz“ und „Mißerfolge“ – beschrieben. Das Positive überwiegt – rein summarisch. Während sich die zwölf grünen Koalitionsunterhändler in den über vier Wochen dauernden Verhandlungen an das politische Geschäft von Geben und Nehmen gewöhnt haben, fühlen sich Teile der grünen Basis aber abgekoppelt.
Undemokratisch und mit zuwenig Basisbeteiligung seien die Verhandlungen mit der SPD geführt worden, lauten die Vorwürfe. Die Landtagsabgeordnete Adelheid Winking-Nikolay, profilierte Gegnerin der Ostseeautobahn A20, empfiehlt trotz Bauchschmerzen eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag – jetzt wird sie als Verräterin und Betrügerin beschimpft und aus den Initiativen gejagt. Von dem als Energiestaatssekretär in einem SPD-Ministerium Finanzen und Energie vorgeschlagenen Kieler Grünen Willi Voigt wird kolportiert, er habe seine Ausstiegspapiere zur Atomenergie von einem „Grünenhasser“ schreiben lassen.
Zum Symbol grüner Politik hochstilisiert wurde von den Koalitionsgegnern der Bau der Ostseeautobahn A20. Die Unterhändler selbst haben nie von einem Kompromiß gesprochen, sondern immer nur von einer Vereinbarung, in der SPD und Grüne auf ihren unterschiedlichen Standpunkten beharren und innerhalb derer es gelungen sei, einige Punkte festzuklopfen, um bessere Ausgangsbedingungen für eine Klage zu haben. Fachleute bemängeln jedoch, daß die Grünen in dieser Frage der SPD auf den Leim gegangen seien. Als reinen Hohn bezeichnete Wilhelm Mecklenburg vom Landesnaturschutzverband die Formulierung, das laufende Planfeststellungsverfahren „ohne Zeitdruck zu Ende zu führen“. Die während der Verhandlungen eingeleiteten Anhörverfahren seien bereits der letzte Verfahrensschritt vor der Baugenehmigung. Auch das Argument, durch die Ausweisung des vom Bau der A20 betroffenen Wakenitztals zum Naturschutzgebiet werden die Hürden höher, sei eine Luftblase. Bessere Aussichten gebe es nur dann, wenn das Tal als Vogelschutzgebiet nach europäischem Standard ausgewiesen werde. Das jedoch sehe der Vertrag gar nicht vor, so Mecklenburg. Ex-Umweltminister Berndt Heidemann (parteilos) und der BUND loben dagegen den Koalitionsvertrag. Und anders als die Experten müssen die Grünen heute nicht nur über ein Thema und Partikularinteressen, sondern über das gesamte Paket entscheiden.
Unsicherheit, vielleicht sogar Angst vor der neuen Situation, so beschreibt ein Grüner den Zustand seiner Partei. Das könne dazu führen, daß statt einem rot-grünen Bündnis der Harmonie im Landesverband der Vorzug gegeben werde.
Lehnen die Grünen die Koalition ab, dann hat Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) gemeinsam mit der FDP die Möglichkeit, eine Minderheitsregierung zu bilden, die dann auf die Tolerierung der zwei Abgeordneten der dänischen Minderheit angewiesen ist. Kersten Kampe
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