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„Euer Sparen werdet Ihr teuer bezahlen“

Im Bezirk Treptow wehren sich Jugendliche aus zwei Cliquen dagegen, daß nach den Sparbeschlüssen des Senats die Streetworker abgezogen werden. Politiker schieben die Verantwortung hin und her  ■ Von Christoph Seils

Das Reich der „Jugendlichen aus dem Baumschulenweg“ ist ein Volleyballfeld und eine Parkbank zwischen Bahndamm und Arbeiterschließfächern. Hier treffen sie sich fast jeden Tag, um gemeinsam rumzuhängen. Langweilig sei der Platz, „aber die Nachbarn sagen nüscht“, beschreibt Jenö seine bescheidenen Qualitäten. Viel los ist für Jugendliche im Bezirk Treptow sowieso nicht. Der Jugendclub „Gerald Philippe“ ist vor einem Jahr abgebrannt. Die nächste nicht kommerzielle Jugendeinrichtung ist drei S-Bahn-Stationen entfernt.

Seit etwa einem halben Jahr werden die Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren von drei Streetworkern betreut. Regelmäßig schauen sie vorbei, helfen bei Auseinandersetzungen mit Behörden, bei Konflikten mit Nachbarn oder Problemen mit der Polizei. Doch im Herbst soll damit Schluß sein. Der Senat hat die Mittel für die Straßensozialarbeit drastisch gekürzt, so daß der Verein Gangway seine Aktivitäten in vier Bezirken einstellen muß.

„Warum sollen die Streetworker bei uns in Treptow abgezogen werden“, fragen in einem offenen Brief an Bezirks- und Landespolitiker 17 Jugendliche aus dem Baumschulenweg. „Wir wollen doch nicht kriminell werden“, beteuern sie. „Seit die Streetworker da sind, haben wir kaum mehr Scheiße gebaut“.

Doch egal, ob es ein aufgebrochener Imbiß oder ein geplünderter Zigarettenautomat ist, die Jugendlichen haben ihre Erfahrungen gemacht. Die Polizeiwache in der Marchlewskistraße, so erzählt einer von den Jugendlichen, „kennen viele von uns auch von innen“.

Thomas hatte die Idee mit dem Brief an die Politiker. „Wäre ja nicht schlecht, mal deren Standpunkt zu hören“, erklärt er, „die machen sich doch ein völlig falsches Bild von uns.“ Viel Hoffnung hat er nicht, aber „wir wollen wenigstens wissen, welche Ausreden sich die Politiker dieses Mal ausdenken“.

Schulverweigerung, vergebliche Lehrstellensuche, Arbeitslosigkeit gehören bei den 14- bis 17jährigen zum Alltag. Seit Sommer vergangenen Jahres geht Thomas in der Berufsschule zu einem Berufsvorbereitungskurs. Aber seine Nachmittage verbringt der 16jährige hier. Von der Realschule ist Thomas zuvor geflogen, nachdem er ein halbes Jahr den Unterricht geschwänzt hatte.

Inzwischen geht er regelmäßig hin. „Das ist meine letzte Chance.“ Viele seiner Klassenkameraden sehen das anders. Zwölf Schüler seien in seiner Klasse, erzählt Thomas, aber mehr als fünf würden meist nicht kommen. „Ich habe zwei Tage Schulverbot“, redet Thilo beiläufig dazwischen. Er habe einem Mitschüler Reißzwecken durch die Schuhe in den Fuß gedrückt.

Unangenehm ist ihm das nicht, eher scheint er es ganz normal zu finden. Ein Klassenkamarad dürfe zwei Monate nicht kommen, „der hat auf dem Schulhof Klamotten abgezogen“.

Die ersten Antworten von Politikern sind schon da. Die PDS schreibt, daß sie im Parlament gegen die Streichung der Gelder gestimmt habe, aber ansonsten auch nichts tun könne.

Ein SPD-Abgeordneter ist sogar vorbeigekommen. Er hat sich den Spielplatz angeschaut und den Raum, den die Jugendlichen gerne nutzen würden, damit sie auch im Winter einen Treffpunkt haben. „Der Herr habe viel rumgelabert und versprochen, sich zu kümmern“, berichtet Thomas. Seitdem haben sie nichts mehr von ihm gehört.

Dabei sind die Wünsche der Jugendlichen bescheiden. Ein Häuschen, kaum mehr als 10 Quadratmeter groß, in dem früher Mülltonnen standen, würden sie gerne als Treffpunkt nutzen. Eine Zeit lang waren sie schon mal drin, haben die Wände gestrichen und Stühle aufgestellt.

„Sogar einen Fernseher hatten wir“, verkündet Ronny stolz, „nur keinen Strom.“ Doch die Nachbarn haben sich über den Lärm beschwert, die Polizei hat sie rausgeholt, und die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land hat die Türen zuschweißen lassen.

Streetworker haben sich seit langem als Strategie gegen Jugendgewalt bewährt. Als Konsequenz aus den ersten Untersuchungen über Jugendgewalt Ende der achtziger Jahre wurde Straßensozialarbeit in Berlin etabliert. Fast 300 Millionen Mark ließ sich der Senat in den letzten drei Jahren das Sonderprogramm „Jugend mit Zukunft“ kosten, um die Jugendgewalt in der Stadt zu bekämpfen. Doch das Programm ist ausgelaufen; ob die Gelder weiter im Landeshaushalt eingestellt werden, erscheint derzeit fraglich.

Schon jetzt sind die Gelder erheblich zusammengestrichen. 650.000 Mark muß der Verein Gangway in diesem, fast eine Millionen Mark im kommenden Jahr in der Straßensozialarbeit einsparen. Für den Bezirk Treptow bedeutet dies das Aus für diese Form der Bekämpfung von Jugendgewalt. Auch andere Vereine müssen aufgrund der Sparmaßnahmen des Senates seine Streetworker aus dem Bezirk abziehen.

Hinterm Treptower Rathaus steht der Bauwagen der „Jugendgruppe Plänterwald“. Auch sie haben ihren Volksvertretern geschrieben, damit die Streetworker im Bezirk bleiben und sogar ein Antwortschreiben aus dem Roten Rathaus bekommen. „Der Regierende Bürgermeister dankt Ihnen für ihr Protestschreiben“, heißt es in einem standardisierten Antwortschreiben aus der Senatskanzlei.

Für das geschilderte Problem sei aber das Bezirksamt Treptow zuständig, deshalb habe man die „Eingabe dorthin abgegeben“. So schiebt jeder das Problem auf den anderen. Aber auch der Jugendstadtrat von Treptow, Joachim Stahr (CDU), ist nicht zu sprechen. Er verweist wiederum auf den Träger des Projektes.

Der Bauwagen ist für die Jugendlichen der ganze Stolz. Ein „Stück Scheiße“ nennt Mala ihn trotzdem und blickt auf den leeren Flaschen, die in der Ecke liegen. Aber es sei die „einzige selbstverwaltete Jugendeinrichtung“ im ganzen Bezirk. „Wo sind denn die Milliarden hin, die sie in den Osten gebuttert haben“, schimpft er, „bei uns ist keine schlappe Mark gelandet.“

Ein paar Plastikstühle stehen herum und ein Sofa mit aufgeschlitzten Lehnen. Die Tür läßt sich nicht schließen, aber zu klauen gibt es hier sowieso nichts. Ganz allein haben sie den Bauwagen ausgebaut, von außen mit neuen Platten verstehen und mit Graffiti besprüht.

Doch ohne Betreuung, so der Streetworker Stefan Gößmann, würde der Bauwagen hier schnell verschwinden. Die 16- bis 24jährigen Jugendlichen hätten nicht genügend Verantwortungsbewußtsein, um das Jugendprojekt ohne Betreuung aufrechtzuerhalten. 600 Mark steht den drei Streetworker zur Verfügung, um die Jugendcliquen des Bezirkes auch finanziell zu unterstützen – um mal eine Runde Pizza springen zu lassen oder einen Wochenendausflug zu sponsern. Aber das wichtigste ist der persönliche Kontakt. Nur so lassen sich Gewalt- und Suchtprävention gewährleisten.

„Sobald die Streetworker weg sind, ist auch der Bauwagen weg“, glaubt auch Mala. Es gebe genug Spießer in der Gegend, „für die sind wir asozial“. Mala ist Gerüstbauer und kommt immer nach der Arbeit her. Hier ist jeden Tag „korrekte Party“. „Das ist allemal besser als mit Mutti Glücksrad gucken“, weiß Ritta, und „besser als Bullen plattmachen oder Telefonzellen zusammenklappen“ fügt ein anderer aus der Gruppe lachend hinzu.

Abwechselnd zupfen die Jugendlichen an einer E-Gitarre, eine Kornflasche macht die Runde. In der Ecke spielt jemand mit einem ordentlichen Piece. „Wenn wir hier weg müssen, dann werden wir mal beim Bürgermeister vorbeischauen und die Tische geraderücken“, verkündet Ritta kämpferisch, und die übrigen stimmen ihm mit Hohngelächter zu. „Euer Sparen“, so haben sie über ihren Protestbrief geschrieben, „werdet Ihr teuer bezahlen.“

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