: Irgendwann ist jeder mal dran
Tränen der Trauer – und des Zorns: Nach 1:1 in Leverkusen und Bundesliga-Abstieg formiert sich beim 1. FC Kaiserslautern die Opposition ■ Von Günter Rohrbacher-List
Kaiserslautern (taz) – „Abstieg ist schrecklich“. Das sagt die 12jährige Isa aus Nußbach. Sie fürchtet sich vor dem Spott der Klassenkameraden im Bayern-Outfit. Als kurz vor sechs Uhr wie jeden Samstag die Glocken der Lauterer Kirchen zu läuten beginnen, kriegen selbst hartgesottene Kuttenträger den Moralischen: „Heert mit dem Gebimmel uff!“ Ein Fan aus Frankfurt ereifert sich vor dem Mikrophon eines Privatsenders: „Da stellt sich der Krautzun hin und sagt, ich habe recht gehabt, daß es in Leverkusen zum ,Endspiel‘ kommt – ei, der hat se doch nimmer all!“ Dem Schreiber ist auch nicht ganz wohl. Mit Eintracht Frankfurt und dem 1. FCK sind beide Mannschaften aus „seiner Region“ abgestiegen, der Südwesten ist ohne Bundesliga-Fußball.
Der erste morgendliche Blick aus dem Fenster hatte schon nichts Gutes verheißen: In der Pfalz goß es aus Kübeln. Fritz-Walter-Wetter? Nein, das ist doch schon zu lange her, war der erste Gedanke. Auf der Fahrt zum Stadion klarte es auf, erste Sonnenstrahlen stimmten optimistisch.
Auf dem Betzenberg waren statt der 5.000 erwarteten 15.000 Fans gekommen. Sie unterstützten den 1. FCK in der Wandelhalle der Nordtribüne vor der Großleinwand und später auch draußen im Stadion via Anzeigetafel. Nach Pavel Kukas 1:0 (58.) bejubelten sie jeden gelungenen Spielzug, beklatschten die Fehlschüsse der Leverkusener. Als sich das Spiel langsam dem Ende näherte, machte – gefährlich euphorisch – eine erste Welle die Runde. Es folgte Entsetzen: Markus Münch hatte ausgeglichen, nur noch neun Minuten waren übrig. Da ahnten alle schon: Nichts geht mehr. Nach dem Schlußpfiff verließ der Großteil mit steinerner Miene, Tränen in den Augen, das künftige Zweitligastadion.
Damit es – Beispiel VfL Bochum – gleich wieder nach oben geht, muß sich beim 1. FCK einiges ändern, sagt Stefan Motzenbäcker, SPD-Stadtrat von Kaiserslautern und Mitglied des 1. FCK seit 24 Jahren. Er blickt nach vorn. Sein Bruder auch. Der hatte bei der Mitgliederversammlung im November vor dieser Entwicklung gewarnt und den Abstieg prophezeit. Keiner, auch nicht der Präsident, nahm seine Worte damals ernst. Heute müssen alle hören und fühlen. Motzenbäcker gehört zur Opposition im 1. FCK, die in den nächsten Tagen personelle Alternativen vorstellen will: Jürgen „Atze“ Friedrich (Präsident von 1977–1981 und von 1985–1988) steht als Präsidentenkandidat bereit, Karl-Heinz Feldkamp soll Technischer Direktor werden. Eine Revolution an Haupt und Gliedern scheint sich anzubahnen.
Betrachtet man die Gesamtstruktur des Vereins, muß man sagen: Der Wiederaufstieg ist drin. Allemal. Aber der 1. FCK braucht dringend eine Erneuerung. Zu viele Fehler sind gemacht worden im letzten Jahr. Publikumsliebling Marco Haber wurde weggeschickt wie jetzt Thomas Hengen, die Symbolfigur Stefan Kuntz ließ man aus Gutmütigkeit und für viel zuwenig Geld in die Türkei gehen. Ein wichtiger Grund auch für den damaligen Geschäftsführer Klaus Fuchs, zum regionalen Rivalen Karlsruher SC zu konvertieren. Ganz schlimm aber: Trotz der Zusage, nach dem Umbau des Stadions für 50 Millionen Mark nicht an der Mannschaft zu sparen, wurde der 1. FCK fahrlässig geschwächt – durch den Zukauf von Masse statt Klasse. Noch schlimmer: Die Warnungen jener Kritiker, die genauso am Verein hängen wie der Präsident, wurden bagatellisiert, an dem überheblich gewordenen Schönredner Friedel Rausch zu lange festgehalten.
Am schlimmsten: Manager Reiner Geye durfte zu lange schalten, obwohl jeder sehen konnte, wie seine persönlichen Probleme negativ auf die Mannschaft ausstrahlten. „Das ist Mißmanagement“, sagt Stefan Motzenbäcker, „und deshalb muß dieses Präsidium gehen!“ Eine Lanze bricht er für den zu spät gerufenen Trainer Eckhard Krautzun, der von den Spielern akzeptiert wird und den nun auch Präsident Norbert Thines vielleicht doch halten will. Auf den sozial engagierten Präses läßt auch der Kritiker nichts kommen: „,Hilfe für Kinder in Tschernobyl‘, ,Transporte nach Tarnovo‘, ,FCK- Fans gegen Rassismus‘, das ist alles okay, aber man darf das Wichtigste, den Fußball, der hier gespielt wird, nicht vergessen.“
Kapitän Andreas Brehme hat noch in Leverkusen davon gesprochen, nun am Samstag in Berlin den DFB-Pokal holen zu wollen, um dem FCK-Publikum auch im Herbst wieder große Spiele zu bescheren. Ein Pokalsieg könnte auch das Präsidium etwas entlasten. Möglicherweise. Sicher ist: Thines wird sich einiges anhören müssen in den nächsten Tagen und Wochen. Nicht alle sehen es so wie ein Fan vor der Südtribüne: „Irgendwann ist jeder mal dran“, sagte der. Das klang schon wieder optimistisch.
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