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Zwischen Baggern und Visionen

■ Karow-Nord: Die Vorzeigestadt wächst. MieterInnen sind zuversichtlich, beklagen jedoch schlampiges Bauen und schlechte Verkehrsanbindung

Draußen Regen, im Baucontainer für die Presse eitel Sonnenschein. Fast wäre das kollektive Schneller-Besser-Schöner in Sachen Wohnungsbau aufgegangen. Bausenator Jürgen Klemann (CDU), Klaus Groth für die Arge Karow-Nord GbR (Arbeitsgemeinschaft Industrie und Wohnbau Groth + Graalfs GmbH und Gehag Gemeinnützige Heimstätten-Aktiengesellschaft) und Weißensees Baustadtrat Rainer Hampel (SPD) hatten auf „Deutschlands größte Wohnungsbaustelle“ in den Norden Berlins geladen, und die Bilanzen stimmten. Von den geplanten 5.000 architektonisch reizvollen Wohnungen für einmal 15.000 Menschen werden in Karow-Nord bis Ende dieses Jahres über mehr als 2.000 entstanden „und auch bezogen sein“, betonte Klaus Groth. Vier Kindertagesstätten und eine Grundschule können dann natürlich genutzt werden, und auch am Baubeginn 1996 für die Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe für insgesamt 1.140 SchülerInnen werde festgehalten. Selbst die Errichtung eines Jugendtreffs wurde noch für dieses Jahr versprochen. Trotz finanziellen Notstands, so Klemann, am „Vorzeigeobjekt“ würden keine Abstriche gemacht. Die Reduzierung der Kitas von ursprünglich 17 geplanten auf insgesamt 10 sei nach Bedarfsanalysen lediglich konkreter auf die Neu-Karower Bewohner zugeschnitten. Für ihn, so der Senator, bedeute die Errichtung der für europäische Verhältnisse einmalig zu nennenden Vorstadtsiedlung „eine Kampfansage an die Haushaltspolitik zu Lasten von Investitionen“.

„Einmalig wird sie sicher mal, die Siedlung. Momentan ist sie für uns Mieter der Horror“, so Andrea Koch, die seit Januar dieses Jahres ihre 71-qm-Traumwohnung“ am Achtrutenberg 18 bewohnt. Gemeinsam mit Joachim Schwalbe, einem weiteren Mieter ihres Hauses, hatte sie sich „unters Pressevolk geschummelt“, um „bei aller Größe und allen Visionen einmal auf den kleinen alltäglichen Ärger in Karow-Nord“ aufmerksam zu machen. Vorübergehend auf einer Baustelle zu wohnen sei ihr bei dem Umzug aus dem Plattenbaughetto Hohenschönhausen durchaus bewußt gewesen, „aber nicht, daß die Arbeiter anscheinend selbst zum Klo mit dem Bagger fahren“, so Andrea Koch. 50 Mark Mietminderung habe man im vergangenen Monat wegen akuter Lärmbelästigung aushandeln können, „doch manchmal fragt man sich schon, was man für immerhin mehr als 1.200 Mark Miete über Monate hinweg aushalten will.“ Joachim Schwalbe hat andere Sorgen: „Am 3. Mai standen nach heftigen Regenfällen unsere Keller unter Wasser, bis heute wurden die Mängel nicht beseitigt.“ Der Neu- Karower warf den Bauherren vor, nur um der Termine willen schlampige Bauausführungen zuzulassen. Als es um die Vermietung gegangen sei, habe man sich um die Mieter gerissen. Jetzt könne man von Glück reden, den einzigen Hausmeister des vermietenden Groth+ Graalfs-Tochterunternehmens Allod zu erwischen. „Mit den Kitaplätzen klappt es auch nicht wie versprochen. Vergangene Woche konnte die Kita-Einweisungsstelle noch keine Plätze in Karow-Nord anbieten“, so Joachim Schwalbe. Größtes Problem für die MieterInnen, meinte Andrea Koch, sei jedoch die vollkommen unzureichende Verkehrsanbindung. „Ohne Auto geht gar nichts, und da steht man schon oft im Stau. Meine Tochter muß, um ihre Freundinnen zu besuchen, eine Tagesreise mit Bus und Bahn unternehmen.“ Wenigstens zu diesem Problem konnte Senator Klemann wieder Positives vermelden. „Ab 2. Juni wird die Buslinie 350 ins Neubaugebiet fahren.“ Auch an eine S-Bahn-Anbindung sei nach wie vor gedacht.

Daß es dabei bleibt, bezweifelte gestern allerdings die Bündnisgrüne Abgeordnete Claudia Hämmerling. „Wenn die anderen großen Neubaugebiete in Buch nicht wie geplant gebaut werden, wird aus dem S-Bahnhof wohl aus Kostengründen auch nichts werden.“ Kathi Seefeld

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