: Kasachische Patrioten sprechen ihre eigene Sprache
■ Präsident Nasarbajew will die Landessprache der zentralasiatischen Republik für seine Zwecke nutzen. Doch die Mehrheit der Bevölkerung spricht besser Russisch
Berlin (taz) – Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew ist ein wahrer Patriot. Nur bei seinen Landsleuten läßt das nationale Selbstbewußsein scheinbar noch zu wünschen übrig. Deshalb hat der Herrscher von Volkes Gnaden, der sich im April vergangenen Jahres per Referendum seine Amtszeit bis zum Jahr 2000 verlängern ließ, jetzt ein neues Sprachgesetz angekündigt.
Anläßlich einer Sitzung der Versammlung der Völker Kasachstans, erklärte der Präsident unlängst, mit dem Gesetz sollten jahrhundertealte Traditionen wiederbelebt und reale Möglichkeiten geschaffen werden, die kasachische Sprache zu erlernen. „Lange wurde die kasachische Schrift nur als Ableger des kyrillischen Alphabets angesehen. Das hat verhindert, daß die anderen Ethnien dieser Sprache den gebührenden Respekt zollten“, sagte Nasarbajew. Deshalb müsse man zum lateinischen Alphabet übergehen, was überdies auch eine kulturelle Integration mit der turksprachigen Welt erleichtere.
Dieser Ankündigung könnte einen neuen Konflikt heraufbeschwören. Denn die Sprachenfrage ist in Kasachstan von jeher ein heikles Thema. Der flächenmäßig zweitgrößte GUS-Staat ist die einzige ehemalige Sowjetrepublik, in der jene Bevölkerungsgruppe, die dem Land den Namen gibt, mit 42 Prozent in der Minderheit ist. 37 Prozent der 17,3 Millionen Einwohner sind Russen. Deutsche, Ukrainer und Usbeken stellen sechs, fünf und zwei Prozent der Bevölkerung.
Während 98,6 Prozent der Kasachen Kasachisch als ihre Muttersprache angeben, die viele aber nicht perfekt beherrschen, verfügen bei den Russen nur 0,9 Prozent über gute Kasachischkenntnisse. Bereits im September 1989, mehr als zwei Jahre vor der Unabhängigskeitserklärung Kasachstans, wurde ein Sprachgesetz verabschiedet, wonach Kasachisch zur Staatssprache, Russisch hingegen als Sprache der Verständigung zwischen den Volksgruppen definiert wurde.
Drei Jahre später wurde das Gesetz auf Betreiben Nasarbajews geändert, diesmal zugunsten der russischen Minderheit. Russisch erhielt den offiziellen Status einer Verkehrssprache. Eine weitere Änderung 1993 sorgte dann wieder für Unruhe unter den Nichtkasachen. Nach diesen Regelungen sollten Gebiete mit überwiegend russischer Bevölkerung, wie zum Beispiel der Norden des Landes, bis zum Jahr 2000 zweisprachig verwaltet werden.
Doch nicht nur die Sprachenfrage könnte das labile Gleichgewicht in dem multinationalen Staat ins Wanken bringen. Nasarbajews „kasachischer Patriotismus“ treibt noch andere Blüten. Gleichzeitig mit dem Sprachgesetz kündigte der Präsident an, in Zukunft härter gegen Medien vorgehen zu wollen, „die die Verfassung verletzen und Unruhe in unser gemeinsames Haus bringen.“ Der Ankündigung folgten Taten. Die russische Zeitung Komsomolskaja Pravda mußte ihr Erscheinen in Kasachstan einstellen. Das Blatt hatte einen Beitrag des russischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Alexandr Solschenizyn über die Lage der Russen in Kasachstan veröffentlicht. Der Generalstaatsanwalt Kasachstans erhob Anklage: Die Zeitung verstoße gegen die Verfassung und schüre Streit zwischen den Volksgruppen. Mittlerweile beschäftigt sich das Oberste Gericht mit dem Fall. Daß der Urteilsspruch zugunsten der Journalisten der Komsomolskaja Pravda ausfällt, glaubt in Kasachstan kaum jemand. Für den kasachischen Politologen Nurbulat Masahow kommt der Schlag gegen die Zeitung nicht Überraschend. „Es ist offensichtlich, daß die Zeit des Flirtens der Macht mit der Presse, als es noch darum ging, ein demokratisches Image aufrechtzuerhalten, zu Ende ist“, sagt er. „Die letzte, zwar schwache, aber doch reale Opposition in unserem Land, die Massenmedien, wird künftig noch stärker von oben unter Druck gesetzt werden.“ Barbara Oertel
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