: Hessens Union kennt Rechtsstaat nicht
Die CDU setzt ihre Kampagne gegen den grünen Justizminister in Hessen fort: Nach der erneuten Freilassung von Häftlingen soll jetzt Ministerpräsident Eichel eingreifen ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Wiesbaden (taz) – „Polizeibeamte, die unter Einsatz ihres Lebens die Ermittlungen gegen Straftäter geführt haben, die nur wegen Organisations- und Personalmängeln der hessischen Jusitiz freigelassen werden, fragen sich zu Recht, für wen und was sie ihr Leben riskiert haben.“ Ein solches Verhalten brauche sich im Lande Hessen kein Polizist und auch sonst kein Mensch gefallen zu lassen. So schäumte der Fraktionsvorsitzende der CDU im hessischen Landtag, Roland Koch, am vergangenen Freitag.
Der Hintergrund: Neun Untersuchungshäftlinge, die von Staatsanwälten in Darmstadt, Hanau und Frankfurt beschuldigt worden waren, Drogendealer oder Geldwäscher zu sein, wurden in den vergangenen drei Monaten nach Gerichtsbeschlüssen wieder auf freien Fuß gesetzt. Entweder dauerten den Haftprüfungsrichtern die Ermittlungen zu lange, oder die zuständigen Tatgerichte konnten keinen den Vorschriften über die Dauer von Untersuchungshaft gerecht werdenden Verhandlungstermin benennen.
Überlastete Gerichte? Schlampige Staatsanwälte? Pedantische Haftprüfungsrichter? Mit solchen Detailfragen beschäftigte sich die hessische Union erst gar nicht. Denn der Schuldige für die „Misere der hessischen Justiz“ ist längst gefunden: Rupert von Plottnitz (55), bündnisgrüner Justizminister im rot-grünen Kabinett von Ministerpräsident Hans Eichel.
Noch nie habe es in der 50jährigen Geschichte des Landes Hessen einen so umstrittenen Justizminister wie Herrn von Plottnitz gegeben, suggerierte etwa der stellvertretende Vorsitzende der CDU- Landtagsfraktion Wagner: „Der Mann betreibt exotische Rechtspolitik.“
Den Beweis für diese Behauptung blieb Wagner schuldig. Nahezu täglich zündet die Union neue Sprengsätze gegen den ungeliebten Justizminister, der für die Bündnisgrünen den Beweis antreten soll, daß ein Grüner auch in einem klassischen Ressort bestehen kann.
Doch was nicht sein darf, kann für die Union auch nicht sein. Vorläufiger Höhepunkt der CDU- Kampagne gegen „Plotte“ war eine hessenweite Plakataktion gegen das „Sicherheitsrisiko“ auf dem Ministersessel. Bündnisgrüne Programmatik wurde da von der Union mit öffentlichen Äußerungen und amtlichen Erlassen des Justizministers zu einer Horrorvision für verunsicherte BürgerInnen gebündelt: „Freier Drogenverkauf in Apotheken, demnächst frei herumlaufende Lebenslängliche und haftentlassene Drogenhändler, Ausländer als Schöffen in Deutschland – und Ladendiebstahl ohne Folgen.“
Vor dem Landtag verstieg sich Wagner zu der Feststellung, daß von Plottnitz die Bürgerfreiheit offenbar nur dann gefährdet sehe, wenn sich der Rechtsstaat gegen Kriminelle wappne. Es müsse „endlich Schluß damit sein, daß ein Minister den Rechtsstaat abbaut“.
Ruppert von Plottnitz schlug zurück, verglich die Union mit der Hizbollah im Libanon. Er rechnete der CDU flugs vor, daß zu Zeiten der CDU/FDP-Landesregierung zwischen 1987 und 1991 weit mehr Untersuchungshäftlinge vor Prozeßbeginn aus der Haft entlassen wurden als in der laufenden Legislaturperiode.
Kabinettchef Hans Eichel (SPD) stellte sich schützend vor seinen Minister. Seitdem wird auch er von den Schwarzen hart attackiert. Schuld habe der Ministerpräsident auf sich geladen, sagte Koch am vergangenen Freitag, weil er aus „Feigheit“ und aus Angst vor einer „Beschädigung“ seines Koalitionspartners seine Pflicht zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege „nicht erfüllt“ habe. Weil Rupert von Plottnitz vor einigen Tagen den Einsatz von V-Leuten als „höchst problematisch“ bezeichnet hatte, fielen Wagner und Koch erneut über den grünen Minister her: „Sabotage der Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft.“ Der Fraktionschef der Bündnisgrünen, Alexander Müller, hatte zuvor den Spieß umgedreht. Die Kritik der Union an der jüngsten Freilassung von drei U-Häftlingen sei eine unzulässige Kritik an der ermittelnden Staatsanwaltschaft gewesen. Denn die sei im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen die drei Verdächtigen auf einen „Zusammenhang zwischen Drogenhandel und Mord“ gestoßen. Das habe die Ermittlungsarbeit verzögert. Müller süffisant: Sollte von Plottnitz etwa per Ministerdekret die Staatsanwaltschaft anweisen, den „Mordfall“ zu übersehen?
Von Plottnitz hat inzwischen ein „Frühwarnsystem“ installiert, mit dem personelle Engpässe in der Justiz schneller erkannt und behoben werden sollen. Statt der Streichung der vorgesehenen 50 Stellen in der Justiz sollen jetzt nur noch 20 dem Rotstift zum Opfer fallen. Kommentar der Union: „Frühwarnsystem gescheitert.“ Durch den Stellenabbau gerate der Rechtsstaat „aus der Balance“ (Wagner).
Weil von Plottnitz auch Referendarstellen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften abbauen muß, giftete ihn in der vergangenen Woche selbst die Grüne Jugend Hessen an. Das sei eine „kontraproduktive Reaktion auf die Schmierenkampagne der Union“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen