: Unwiderstehliche Bettkäfer beim Husten
■ Der Post-Rock von Soul Coughing und Raissa hält souverän Widersprüche aus
Wenn ein Tonträger mit einer unbekannten Band in die Redaktion segelt und für einige Zeit den Nerv trifft, gehört das zu den netten Momenten im Leben eines Musik-Journalisten. Der von Sperrigkeiten durchzogene Pop auf Soul Coughings Debut Ruby Vroom war so einer. Anläßlich der beiden Konzerte im Knust zeigte sich der glatzköpfige und bebrillte Sänger M. Doughty dann noch als charismatischer Paranoiker, der die Stücke überzeugend nach vorne trieb.
Bei ihrer zweiten Platte Irresistible Bliss, was zu deutsch unwiderstehliche Freude heißt, ist die Freude aber geteilter. Balancierte der Tom Waits-Produzent Tchad Blake auf Ruby Vroom noch die disparaten Tendenzen (Funk, Pop, Knitting Factory und komische Töne) gleichwertig aus, ging man bei der neuen Platte arbeitsteiliger vor. Der Tony Bennett-Produzent David Kahne wurde für das Arrangement der poppig angelegten Stücke beauftragt, während Steve Fisk seine juvenile Leck-Mich-Haltung einbrachte.
So fällt Irresistible Bliss in einzelne Stücke auseinander. Wie etwa Sleepless, das mit einem durchlaufenden Herzschlag und wenigen Stockschlägen ein präzises musikalisches Abbild von Schlaflosigkeit liefert. Es erzählt die Geschichte von jemand, der sich quälend lang im Bett wälzt. Immer wieder tauchen neue Erinnerungen auf, die ihn mit Störgeräuschen vom Schlaf abhalten. Mit gleichmäßigen Pulsschlägen, dem letztendlichen Einnicken endet „Sleepless“.
Doch auch über die einzelnen Stücke hinweg halten Soul Coughing der Spannung stand. „Ich schreibe paranoide Love-songs,“ sagt M. Doughty, „die davon handeln, daß man verzweifelt auf einen Anfruf wartet, während man sich gleichzeitig ganz schrecklich vor dem Telefonklingeln fürchtet.“ Dieser Widerspruch findet sich auch in ihrer Haltung zu Pop.
Auch Raissa, eine neue Big-Cat-Band hält Spannungen souverän aus. Sowohl mit DJ als auch mit Gitarristen ausgestattet, wechselt das Post-Rock-Trio aus London die Ausgangspositionen geschwind. Zwischen Innerlichkeits-Folk und psychedelischem TripHop kann man bei ihrem Debut Sleeping Bugs auf alles Mögliche gefaßt sein. Daß Raissas Exkursionen dabei nicht beliebig geraten, sichert die Stimme von Rice Khan-Panni, die selbst einen Walt-Disney-Schmachtfetzen ohne Scham über die Lippen bringt. V. Marquardt
Mi, 29. Mai, 21 Uhr, Logo
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