: Vorm Kürzen: Denken!
■ Eine Reflexion in den Hochschulen über qualitatives Sparen würde auch ihren Ort in der Gesellschaft neu bestimmen
Von Berlins Studierenden wird wieder demonstriert. Und zwar um der eigenen Hochschulen willen – sogar von manchen Professoren. So erfreulich wir alten Hasen diese Demonstrationen finden und all die phantasievollen Aktionen, die argumentativ die Misere gegenwärtiger Hochschulpolitik inmitten der miesen Sozialpolitik vortragen, so bedenklich berührt uns der Mangel eigener Vorstellungen. Als fehlte jeder Begriff der Universität und ihres institutionellen und funktionellen Eigensinns.
Wer mag sich indes außerhalb der Universitäten um solche Kürzungen kümmern, die inmitten viel schlimmerer sozialer Kürzungen nur ein privilegiertes Drittel der Gesellschaft betreffen? Es sei denn, es könnte überzeugend klargemacht werden, daß die universitären Kürzungen inmitten einer perspektivlosen Bildungspolitik tendenziell für alle BürgerInnen negative Auswirkungen zeitigen, katastrophale geradezu für den Standort bundesdeutscher Demokratie (um dem üblichen Standortgerede einen angemessenen Kontrastort gegenüberzustellen).
Schätzt man die gegenwärtige Situation nüchtern ein, dann wird es mittelfristig mit den geradezu panischen Kürzungen eines bildungspolitisch konzeptlosen, politisch auch sonst überforderten Berliner Senats weitergehen. 1996 ist haushaltspolitisch nichts mehr zu machen. Für 1997 sind weitere Kürzungen von 40 Millionen Mark im Bildungsbereich vorgesehen.
Vier Vorschläge, um in die Offensive zu kommen
Was tun, wenn nicht einfach hinnehmen und allenfalls kopflos um die eigenen professoralen oder in verminderter und verkürzter Weise um die eigenen studentischen Besitztümer kämpfen? Nach alten Kochbuchregeln vor den Wohlstandszeiten: „So man hat“? Die erste universitätsangemessene Antwort heißt: Denken! Nach- Denken, um vorherzudenken und denkend zu handeln. Aus solchem Nachdenken ergeben sich im ersten Schritt zwei sich ergänzende Handlungsrichtungen und -inhalte. Die eine Richtung weist nach universitätsinnen; die andere nach Politik- und Gesellschaftsaußen. Inhaltlich geht es um konzeptionelle Arbeit und um budgetäre Konsequenzen.
1. Wer in Notzeiten den eigenen Kopf behält, benutzt selbige als Anstoß, um über das nachzudenken, was ihm wichtig ist und was er in jedem Fall erhalten möchte. In diesem Sinne sind die Universitäten, die Berliner zumal, um den Preis ihrer Selbstaufgabe gehalten, endlich das zu tun, was sie bis heute sträflich versäumt haben: sich Fachbereich um Fachbereich selbst zu evaluieren.
Eine solche nicht von außen kommende, nicht mit zweifelhaften, gar betriebswirtschaftlichen Kriterien arbeitende Selbstbewertung muß u.a. folgende Fragen prägnant beantworten: Wozu und zu welchem Ende studiert man an der FU, TU oder HUB Chemie oder Medizin oder Poltikwissenschaft? Sprich: Welche Art von Chemikerin, Mediziner, Politologin wird in den Fächern sozialisiert, und was sollte man mit den gelehrt gelernten Fertigkeiten anfangen (können)? Worin besteht das Kerngehäuse eines Fachs; wie wird dasselbe vermittelt?
Wie antworten die Studiengänge und die sie Lehrenden darauf, daß angesichts der heutigen ausdifferenzierten Wissenschaften – jedoch der zusammenhängenden Probleme – fachkompetente interdisziplinäre Fähigkeiten ausgebildet werden müssen?
Wie reagieren die Fächer auf die unvermeidliche, heute jedoch wachsende Kluft Ausbildung hier und rasch sich verändernder und zugleich oft höchst armseliger Arbeitsmarkt dort? In welchem Verhältnis stehen Forschung und Lehre zueinander?
Was haben die Fächer an konzentrierter Forschung anzubieten, und wie verhält sich dieselbe zu den drängenden Problemen der Zeit? Verfügen Fächer und Universitäten über so etwas wie eine eigene forscherliche Koordination und Reflexion, die über voluminös unsinnige, nur einer schlechten Werbung dienende Kompendien diffuser Themen hinausgehen?
Langum: Was die einzelnen Fächer wie wollen und sollen, wäre nach verallgemeinerbaren Kriterien innerhalb eines Jahres verbindlich nach kräftigem innerfachlichem und inner- und zwischenuniversitärem Streit öffentlich und verbindlich vorzulegen. Die Fächer und die Universitäten müssen sich selbst offenbaren und sagen, was sie aus ihren eigenen heutigen Gegebenheiten könn(t)en. Weil es um die in sich privatistisch agierenden Fächer so schlecht bestellt ist, weil sie vom schlechten Lob der Routine leben, könnte die Not eine überfällige Reflexionstugend lehren. Hier hätten auch die Dekane und die Präsidenten eine angemessene Aufgabe.
Gegen bildungspolitischen Analphabetismus
2. Wir leben inmitten einer neuen Bildungskatastrophe. Statt dem Ziel nachzujagen „Bildung ist Bürgerrecht“, das gerade auch für die sozial und herrschaftlich Schlechtergestellten zentral ist – vom demokratischen Standort Deutschland ganz zu schweigen –, wird eine Art neuer Analphabetismus verfolgt. Strukturelle Arbeitslosigkeit soll bildungspolitisch individualisiert und im Sinne neuer Bildungsklassen naturalisiert werden. Wer keinen Beruf bekommt, ist blöde. Er muß eben im Sinne der „klassischen“ doppelten Freiheit des Arbeiters seinen Arbeitspreis unter das „Gehtnichtmehr“ herabsetzen. Nur wenige sind elitär berufen und ausgewählt. Gegen diese unverantwortliche, zukunftslose und undemokratische Bildungspolitik ist engagiert aufklärerisch zu mobilisieren. Um von der miesen Schulpolitik zu schweigen.
Nicht weniger, sondern mehr kleinere, in Forschung, Lehre und Lernen wirksamere Universitäten als soziale Orte sind mittel- oder längerfristig anzustreben. Eine solche Vervielfältigung der Universitäten würde unterm Strich, wenn zugleich manche teuren Zöpfe abgeschnitten würden, nicht teurer. Im Gegenteil: Außerdem nützen sie die kostbarste „Ressource“ eines Landes: seine Menschen und ihre sorgsam zu entwickelnden Fähigkeiten. Es gilt jedoch: Eine solche neue Bildungswerbung mit veränderten Bildungseinrichtungen ist nur zulässig, wenn die Universitäten zuerst und kräftig vor der eigenen Tür, nein, in der eigenen Wohnung kehren.
Weniger Gehalt und mehr Zeit für Professoren
3. Eine Chance, die nächsten Einsparungen aufzuhalten, besteht nur, wenn die Hochschulen selbst durch Arbeits- und Einkommensverteilung ein Zeichen setzen, das öffentlichkeitswirksam die politische Seite dazu anhält, ihre Sparauflagen besser zu begründen, zu differenzieren und teilweise zu reduzieren. Hierzu ein Vorschlag (er sollte nur im Sinne eines sachlichen konstruktiven Mißtrauensvotums kritisiert werden dürfen): Die Universitäten stellen innerhalb der laufenden Tarifverhandlungen den Antrag, aus dem Tarifritual auszusteigen. Es spricht einiges dafür, daß auch die Tarifpartner des öffentlichen Dienstes einen solchen Ausstieg beschließen werden. Statt zwei Prozent mehr Gehalt billigen die Hochschulen Gehaltskürzungen bei Professoren, Vollzeitmitarbeitern und Verwaltungsleuten des gehobenen und höheren Dienstes (eventuell versüßt durch einen gewissen Zeitbonus). Hinzunehmen wäre eine reale Geldeinbuße, nach Besoldungsgruppen gestaffelt, von fünf bis zehn Prozent. 60 bis 100 Millionen würden damit verfügbar. Die Berliner Universitäten könnten sich endlich um den sträflich ausgedünnten und gegenwärtig vollends massakrierten „Mittelbau“ kümmern; das Tutorenprogramm könnte wenigstens zu einem Teil aufrechterhalten, der Stopp der DoktorandInnenstipendien aufgehoben werden. Mit solchen und anderen Vorschlägen könnten die Universitäten (gleicherweise vertreten durch alle vier Gruppen und ihre Präsidenten) die politische Seite an einen Runden Tisch öffentlicher Aufgaben- und Ausgabendebatte bitten. Hierbei müßten u.a. überproportionale Sparraten, die Immatrikulationsgebühren und nicht zuletzt die verfassungswidrigen strukturellen Eingriffsrechte qua Haushaltsstrukturgesetz zur Disposition stehen.
4. Solche auch monetäre Eigenreform im Sinne eines anderen entprivilegierenden Zahlungsausgleiches ermöglichte es den Universitäten, in all ihren Gruppen und in corpore defensiv offensiv zu werden und eine allgemeine Berliner (und Über-Berliner) Haushalts-, Aufgaben- und Sozialdebatte zu inszenieren. Dann wäre es auch möglich, endlich mit den Teilen in den Gewerkschaften zusammenzuwirken, die um den engen Zusammenhang von Bildungs- und Sozialpolitik wissen. Selbst aufgeklärte Unternehmen müßten sich gegen die sachlich irrationale Un- Politik der etablierten Berliner Politik kehren. Zuallererst aber sind jetzt die Hochschulen und ihre Bekenner (= Professoren) selbst gefordert mitsamt einer hoffentlich wieder aktiveren Studentenschaft. So sie sich selbst aufgeben und nicht einmal wissen, warum diese Gesellschaft und alle ihre Bürgerinnen und Bürger, nicht zuletzt um der eigenen Zukunft willen, ihrer bedürfen, sind sie nicht mehr zu retten. Peter Grottian, Wolf-Dieter Narr
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