: Die Botschaft steckt im Subtext!
■ betr.: Robert Misiks Kommentar „Apokalyptiker der Marktwirt schaft“ und Vera Gaserows Tages thema-Beitrag „Jeder Monat trägt mehr zum Überleben zu Hause bei“, taz vom 14.5. 96
Robert Misik hat deutlich gemacht, wie die neoliberalen Propagandisten auf der apokalyptischen Welle surfen, die sie selbst erzeugen. Er zeigt, wie der Klassenkampf von oben ganz wesentlich in der Sprache ausgetragen wird. Neu- und Umcodierung von Begriffen schafft scheinbare Tatsachen und Selbstverständlichkeiten: „Einsparung“, „Rationalisierung“, „Personalabbau“, „Verschlankung der Produktion“. Auch wenn wir rausfliegen, können wir doch ein bißchen stolz sein, daß wir so zur Rettung von ... ja, von was? beigetragen haben. Wir sparen uns selbst!
Fachausdrücke, die in Wirklichkeit Kampfbegriffe sind, schweben als Nervengift durch den deutschen Diskurs; sie erfahren von Talkshow-ExpertInnen und „Tagesschau“-SprecherInnen sachliche Weihe und von JournalistInnen ein vielfaches Echo. Vor ein paar Wochen sah ich im Berlinteil der taz das Bild einer Fließband- Arbeiterin bei Schering. In der Bildunterschrift wurde behauptet, ihr Arbeitsplatz sei gesichert, weil die Konzernleitung Gewinne für das letzte Geschäftsjahr zu verzeichnen hatte. Mit anderen Worten: Wenn der Konzern Gewinne macht, bleiben die Arbeitsplätze erhalten – ?! – die ideologischen Anstrengungen des sogenannten Bündnisses für Arbeit haben ihr Ziel erreicht, zumindest in der taz.
Ihre bewußtseinstrübende Wirkung entfalten solche ideologischen Wolken auch dann, wenn sie in wohlmeinender und sozialkritischer Absicht zusammengebastelt werden.
Ein kleines Beispiel dafür ist in Vera Gaserows Artikel, Seite 3 der gleichen taz-Ausgabe, zu finden. Thema: vietnamesische ImmigrantInnen in Deutschland und Zigarettenmafia. Tenor: Die Leute haben's auch schwer, und nicht alle sind kriminell. Subtext: Wohin bloß mit den Leuten?
Der erste Absatz endet so: „Erst allmählich realisierte die alte Bundesrepublik, daß auch die DDR ,ihre‘ Ausländer hatte und damit auch ein ,Gastarbeiterproblem‘, das noch immer nach einer gesamtdeutschen Lösung sucht.“ Ein bemerkenswerter Satz mit einer Reihe von Behauptungen, die im Subtext versteckt sind.
1. Die alte Bundesrepublik ist ein wahrnehmendes Wesen, das etwas bemerken kann. Damit wird die Stigmatisierung von ImmigrantInnen, die von den alten auf die neuen Bundesländer übergegriffen hat, nicht als eine Frage der Bewertung, sondern als eine Wahrnehmung dargestellt.
2. Die DDR hat „ihre“ Ausländer. Die Distanzierung mit Gänsefüßchen besagt nichts, weil nicht klar ist, wer die Aussage relativiert – Vera Gaserow oder die ehemalige DDR oder die Bundesrepublik. Vermittelt wird, daß der Staat ein Eigentumsverhältnis an Menschen hat, die auf seinem Territorium leben.
3. „...und damit auch ein ,Gastarbeiterproblem‘“ – entscheidend ist nicht das wiederum verschämt in Gänsefüßchen gesetzte Wort „Gastarbeiterproblem“, sondern das Wörtchen „damit“. Hier wird transportiert, daß Menschen aus anderen Ländern zwangsläufig ein Problem sind, mag man das nun nennen, wie man will. An anderer Stelle haben wir auch schon den Begriff „Altlasten“ dafür gelesen.
4. „...das noch immer nach einer gesamtdeutschen Lösung sucht“. Das Nervengift hat die Sinne erreicht: Das Problem sucht nach einer Lösung! Welches Problem? Das, was (nach Gaserow) zwangsläufig mit der Anwesenheit von ausländischen Menschen verbunden ist. Jetzt sucht auch nicht mehr die DDR oder die alte Bundesrepublik nach Lösungen, sondern die zum Problem erklärten Menschen selbst. Aber für die besteht das Problem doch nur darin, daß sie nicht da sein dürfen, wo sie sein möchten. Es entfaltet sich die selbe Logik wie im vermeintlich gemeinsamen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit: Wir alle suchen doch nach Lösungen! – Tun wir das? Das setzt voraus, daß wir alle dasselbe Problem haben. Haben wir aber nicht! Imma Harms, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen