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Ein derbes Wort zur rechten Zeit

■ Schauspielhaus-Intendant Frank Baumbauer sieht die Zukunft trotz guter Zahlen und künstlerischer Anerkennung schwärzlich / Spielplan 96/97 mit dem bewährten Wagnis-Mix

Als er die St. Pauli-Saga von Dagobert Lindlau im Stil eines Werbemanagers mit plastischen Schlagworten ankündigte, schmunzelte die versammelte Journalistenschar. Er wisse ja, so Schauspielhaus-Chefdramaturg Wilfried Schulz bei der Vorstellung der kommenden Spielzeit heiter weiter, daß man uns Journalisten ein paar peppige Formulierungen liefern müsse, damit wir was vernünftiges schreiben könnten.

Peppige Formulierungen einer ganz anderen Art entkamen anschließend dem Intendanten Frank Baumbauer, als er über die Geldnöte des Theaters sprach. Die Perspektiven seien „ziemlich beschissen“, resümierte er die Zukunft. Ein derartig drastischer Ausspruch aus dem Munde eines Mannes, der sonst durch Bedachtsamkeit und balancierte Wortwahl besticht, läßt erkennen, daß die Hamburger Kultur knapp vor der Grenze steht, wo interne Sparzwänge der Institute in tiefe qualitative und quantitative Einschnitte im kulturellen Angebot übergehen. Wenn sich nicht vorher Einsicht breit macht, „dann geht hier einiges kaputt“. Aber, so Baumbauer mit pessimistischem Unterton weiter: Er befürchte, daß die Hamburger Politiker „bei der Wahl zwischen Werten und Zahlen sich für die Zahlen entscheiden werden.“

Dabei sind letztere beim Schauspielhaus trotz des ambitionierten Programms erstaunlich gut – was ja heute leider eher die Reaktion zeitigt, die Spar-Schrauben noch enger zu ziehen. Im Gegensatz zum allgemeinen Trend hat Hamburgs größtes Theater in seiner dritten Baumbauer-Spielzeit die Zuschauerzahlen um 3,4 Prozent gesteigert und trotz der Einsparverpflichtung von 3,1 Millionen Mark noch Rücklagen bilden können, um dringende Investitionen selbst zu tätigen. Mit 598 Vorstellungen inklusive Gastspielen hat das Haus eine Rekordmarke gerissen und mit seinem Programm gerade junge Leute wieder ins Theater geholt.

Das soll natürlich auch so bleiben und deswegen bleibt das Team an der Kirchenallee seinem Spielplan-Mix aus Klassikern und Zeitgenössischem, Experimenten und Bewährtem treu. Die Spielzeit 96/97, eine ohne Kresnik und Castorf, sieht eine Eröffnung mit einer Clockwork Orange-Adaption (Regie: Elke Lang), dem nächsten Shakespeare von Karin Beier, die jetzt fest ans Haus kommt, Was ihr wollt, und das Off-Broadwaystück Love! Valour! Compassion!, das Gustav-Peter Wöhler inszenieren wird. Im weiteren wird Franz Xaver Kroetz Büchners Woyzeck, Marthaler Horvaths Kasimir und Karoline, Jossi Wieler mit Kaspar einen „Handke, als er noch Handke war“ (Schultz), und Anselm Weber einen neuen Goetz inszenieren. Dimitier Gotscheff wird dem Thalia untreu und inszeniert Heiner Müllers Germania 3, Gotz Loepelmann das Kinderstück Die steinerne Blume „ganz ohne Tiere“, Wilfried Minks nimmt sich der St. Pauli-Saga in Form einer Revue an und der junge Regienewcomer Stefan Bachmann verarztet einen Corneille, Illusion Comique. Start der Spielzeit ist am 21. September.

Da Baumbauer bei der Rückkehr aus dem Urlaub einen weiteren Sparbeschluß erwartet, werden vorläufig keine Late-Nights und nur zwei Kantinenveranstaltungen geplant. Ob dies „die Größenordnung des Verzichts“ werde, oder ob es noch „gewaltiger“ kommt, dazu wird er sich erst nach der Sommerpause äußern. Zwar habe Bürgermeister Voscherau den Hamburger Intendanten versprochen, daß die Stadt kein Staatstheater schließen werde, aber, so Baumbauer im Wissen um die Realität ungehemmter Magerkuren, „man kann das ja auch anders machen.“ Hammonia, mir graut vor dir.

Till Briegleb

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