: Deco Metal vs. Cheyennne Style
Aus gutem Grund und mit gutem Design: „Sing mir ein Lied, und ich sag dir, ob du's bist“ – Sonnenbrillen werfen drängende Fragen und Antworten in unseren Alltag. Erster Teil ■ Von Christiane Seiffert
Der modebewußten Frau mit vollem Kleiderschrank bringt jeder Tag ein wenig Glück. Doch auch sie ist an den ersten Sonnentagen aufgeschmissen, wenn aus dem Sommerlichen die weißen Beine unschön ins Offene drängen. Allein die Sonnenbrille bringt sofort Mode und Wetter in Einklang und wirft auch noch allerlei Fragen und Antworten in unseren Alltag:
Muß ich in der U-Bahn „ohne“ gehen? Schiebe ich die Sonnenbrille aufs Haar? Kaue ich auf dem Bügel rum? Kann ich auch meine gestikulierenden Hände modisch verlängern? Verweinte Augen werden in eine neue Fassung gebracht, und sehr sinnreich sind Depressionen zu bekämpfen, indem man sich bei Robben & Wientjes einen Cargo-Hopper mietet: RTL an, Hand aus dem Fenster raus und ab, bis sich das Café Kranzler in der Sonnenbrille widerspiegelt.
In den sechziger Jahren folgte dem Schutz vor Krieg und Armut der Schutz vor der Sonne. Erste Italienreisen gaben den Eindruck davon, wie man aus gutem Grund und mit gutem Design das eigene Gesicht zu einem aufregenden Geheimnis machen konnte. Rocksänger und Filmschauspieler verdeckten den Sitz ihrer Seele und wurden entindividualisiert. Die Masse verdeckte sich Augenpaare und individualisierte sich so neu. „Sing mir ein Lied, und ich sag dir, ob du's bist!“ Südamerikanische Diktatoren verbargen ihren grausamen Blick und wurden zu Rocksängern. Bei Hitler sind die dunklen Stellen unter die Nase gerutscht.
„Seit wann gibt es Sonnenbrillen?“ fragte ich bei der Optikerin Rosi Marks in der Reichsstraße im Westend. „Schon lange! Schreiben Sie ruhig 100 bis 180 Jahre!“ Im Lexikon steht es genauer: Schon Nero trug Gläser aus Smaragd. Vielleicht eine Idee für die Brillenindustrie, denn hohe Preise lassen sich nur durch die Gestelle erzielen, nachdem ungefähr alle Gläser hohe Lichtabsorption haben und die gefährlichen Bereiche des verzerrenden blauen Lichts gefiltert sind.
Das Geflecht von Schwanzhaaren, aus dem sich die Naturvölker vor 2.000 Jahren Schneebrillen bastelten, ist eigentlich nur als Gag für den Dritte-Welt-Laden oder im privaten Bereich denkbar.
Den Fehler wie an der Außenalster, an der so viele Babies zur Welt kommen, weil es von Chanel noch keine Spirale gibt, wiederholt diese Firma nicht in Sachen Ozon. Zum Kummer der Branche geht der Trend wieder in Richtung John Lennons Nickelbrille. Da hält der Katalog von Ray Ban dagegen. Die Edelbrillen wurden für die Flieger im Zweiten Weltkrieg konzipiert, und zwar so, daß sie fast allen Gesichtstypen gerecht wurden.
Die neue Ray-Ban-Collection setzt aufs provokative Design und besonders innovative Sonnenbrillen mit starken Farben und tollen Formen beim Side-street-Modell: „Eine Auswahl heißer, neuer Styles kommt in die Straßen.“ In denselben sind wir dann gefragt, uns an den Models der Ray-Ban- Poster zu orientieren, mafios mit Silberkreuzhalsband oder an dem Motiv: „Deco Metal“ mit Motorrad und Dreitagebart, wenn uns nicht der Schwarze mit dem Motiv „Cheyenne Style“ begeistert – die ultimative Paßform!
Was löst die Sonnenbrille aus in dem Land, in dem die Sonne weiblich ist? Gabila verweigert den Handschlag, wenn sie über dem grüßenden Mund dunkle Augengläser anstarren, Maya reißt ihrem Gegenüber sogar das Gestell herunter. Ursula, 50, SPD-Mitglied, trägt das solide Modell nur beim Autofahren. Karsten, 9, trägt keine Sonnenbrille mehr, er bräuchte ja jedes Jahr eine neue Größe. Julisch, 17, war froh über meinen Tip, daß es im Lafayette heiße Nasenschlitten für nur 27 Mark gibt. In ihrer Klasse werden nur Modelle über 200 Mark akzeptiert. Man kann zwar in manchen Läden schon Imitationen der großen Firmen kaufen, wenn man sie aber aufsetzt, haben die Häuser plötzlich riesige Beulen.
Sabine bringt von jeder ihrer Reisen eine neue Sonnenbrille für ihre Sammlung mit. Die behält sie auch nach der Ankunft im verregneten Tegel auf und braucht sie als Umweltschutz. Iris will sich von ihrer angebenden Freundin distanzieren, muß aber jetzt in den Jemen. Ganz glücklich erörtert sie alle Fragen, die zum notwendig gewordenen Kauf dazugehören.
In dem Film „Blues Brothers“ verfolgt die verschmähte Braut ihren Ex mit Tötungsabsichten. Als sie ihn am Schluß stellt und er das erste Mal im Film die Sonnenbrille abnimmt, bringt sie ihn nicht um, sondern verfällt ihm, überwältigt von seinen Augen, erneut.
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