: Mit erweitertem Kanakenbegriff
Naunynstraße meets Moabit und Westdeutschland – türkischer HipHop, Rap und Pop, Graffiti (Wettbewerb!), Mode und Bauchtanz: Tohuwabohu zu Pfingsten im Tempodrom ■ Von Daniel Bax
„Kanake“ ist kein nettes Wort. Aber jeder weiß, wer gemeint ist. Für viele Kreuzberger Kids türkischer Herkunft ist „Kanake“ darum zur Selbstbezeichnung geworden, zum Markenzeichen.
„Radio Kanaka International“ heißt auch eine wöchentliche Radiosendung auf dem Kultsender KISS-FM. Moderiert wird sie von Giò Di Sera, Selfmade-Künstler und Italo-Kreuzberger. Er setzt sich für einen erweiterten Kanakenbegriff ein: „Der Gedanke ist: Jeder ist ein Kanake, überall. Das hat nicht nur mit Türken zu tun, sondern mit allen Ausländern und auch den Deutschen“, meint er. Sich offensiv als Kanake zu outen sei „kein Opfer-Ding“, sondern der Versuch, „es locker zu nehmen“. Oder abstrakter: „Es geht um eine ironische Operation zur Entnegativisierung des Begriffs.“
Mit seinen Mitstreitern von der „To stay here is my right“-Posse aus dem Naunynritze-Umfeld wird Giò Di Sera am Pfingstwochenende im Tempodrom zu Werke gehen: Der Sprayer Gino wird den „Kanaka Graffiti Workshop und -Wettbewerb“ veranstalten, die Tänzerinnen Bagdagül und Binnur werden als „BattleMove“-Duo ihre eigene Mode vorführen, die Top-Bauchtänzerin Firuze wird „Belly dance in a techno style“ präsentieren. „Wir arbeiten zusammen, aber jeder vertritt sich selbst“, erläutert Giò das Konzept der Naunynstraßen-Family.
Aus dem gleichen Kiez stammen auch die Oriental-HipHop- Pioniere von Islamic Force. Sie schimpfen sich seit neuestem „Kan.AK“. Die etwas merkwürdige Namenskonstruktion soll verschiedene Assoziationen wecken. Doch in erster Linie erinnert auch Kan.AK. natürlich an „Kanake“. Der neue Name erschien der Gruppe weniger mißverständlich als die frühere Bandbezeichnung, mit der sie offenbar von manchen vorschnell unter der Rubrik „Islamische Fundis“ abgebucht wurden. Dabei liegt religiöse Propaganda oder politischer Extremismus der Formation um die zierliche Frontfrau Nellie völlig fern – eher schon stehen die Kan.AK.- Jungs auf Gangsta-Posen und Machismo. HipHop, und türkischer HipHop sowieso, ist eine Männerdomäne.
Eine Ausnahme ist Nachwuchs- Rapperin Aziza A., die gerade an ihrer ersten Produktion bastelt. Wenn sie an ihre Grundschulzeit im freundlichen Steglitz zurückdenkt, fallen auch Aziza A. als erstes die Wörter „Kebab“ und „Kanake“ ein. Doch engagierter als gegen deutsche Diskriminierung rappt sie über dämliche Macho- Anmache und Tabuthemen wie – „pssst, Sex“.
Ihre ungekünstelte Direktheit prädestinierte die 24jährige wohl für ihren neuen Job als Moderatorin eines samstäglichen Jugendmagazins im ZDF, das hauptsächlich von Popkultur und Pubertätsproblemen handelt. Aziza A. hat sicher ein offenes Ohr für Teenie- Nöte: Das A. in ihrem Namen steht schließlich für „abla“, Türkisch für „große Schwester“. Aziza A. und ihre versierte Begleitband Oriental Express entspringen dem Moabiter Hinterhofstudio von Ünal Yüksel, der auch die Newcomer Can Kat und Günay produziert hat. Während Can Kat herkömmlichen türkischen Pop mit funkigen Einlagen aufpeppt, sucht Günay die ambitionierte Verbindung von türkischer Arabesk-Schmachtmusik und schwarzem Schmuse-Soul.
Türkische Musik made in Germany ist eindeutig „schwärzer“ als das Original, die wichtigsten Impulse werden aus dem weiten Black-Music-Bereich bezogen. Diese musikalischen Synkretismen werden in der Türkei wiederum aufmerksam rezipiert und aufgesogen – „Deutschländer“ (Almancilar) wie Can Kat erobern in kürzester Zeit die türkischen Charts, und die deutschen Entwicklungen beeinflussen die dortige Szene.
Berlin ist ein wichtiges Zentrum dieser musikalischen Gegenmigration, aber nicht das einzige. Das zeigen die Gruppen, die man sich zur Verstärkung aus anderen Städten ins Tempodrom-Zelt geholt hat. Zum Beispiel die TCA Microphone Mafia, italienisch-türkisch- deutsche Party-Reimer aus Köln, oder die Bremer HipHop-Crew von Cribb 199. Und natürlich Ünlü, die türkische Rockhoffnung aus dem Schwabenland.
Tohuwabohu Party Zone im Tempodrom: „Sabaha kadar Dans Dans Dans“, heute und morgen ab 19.30 Uhr, In den Zelten
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