Komik! Tragik! Oder lieber beides?

■ Über die Korrumpierbarkeit der Künste: „Ariadne auf Naxos“, neu gesehen im Bremer Theater

Völlig versteinert steht während der Bremer Aufführung von „Ariadne auf Naxos“ der Komponist an der Seite: Er kann nicht fassen, was er da hören muß. Und doch muß er eine der wichtigsten Erfahrungen seines noch jungen Künstlerlebens machen. Es ist die Erfahrung der Abhängigkeit vom Geld und der Korrumpierbarkeit von Kunst. Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss haben 1912 „Ariadne auf Naxos“ geschrieben, eine „Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel“. Keine Komödie und keine Tragödie, sondern ein Zwitter von komplexer Gestalt – Theater im Theater im Theater. Dieser damals experimentelle Ansatz beansprucht die Sparten Oper, Schauspiel und Tanz. Die Fassung ist allerdings 1916 von den Autoren zugunsten einer reinen Oper korrigiert worden. Diese liegt auch der neuen Inszenierung zugrunde, die am Wochenende ihre Premiere im Theater am Goetheplatz erlebte – die Urfassung ist bis heute in keinem Theater organisierbar.

So breitet das Stück die beiden gegensätzlichen Spielwelten der Oper aus: die des heroischen Schicksals der Ariadne und die des leichtfertigen Komödiantenalltags durch Zerbinetta. Beide Ebenen stellen sich bei Strauss und Hofmannsthal gegenseitig in Frage, indem sie einander unversöhnlich durchdringen. Anschaulich gemacht wird diese vielschichtige Struktur anhand der Geschichte eines Kompositionsauftrags für die Ariadne-Tragödie. Der reiche Herr Mäzen will zunächst einmal der Tragödie eine Komödie nachstellen; schon dies läßt den Komponisten verzweifeln. Im letzten Moment wünscht sich der Auftraggeber dann beide Aufführungen gleichzeitig, die auch noch pünktlich um neun Uhr zu Ende sein sollen – rechtzeitig zum geplanten Feuerwerk. Diese Klarstellung der Machtverhältnisse und die Zumutung an die Produzierenden mit ihren komischen und tragischen Auswirkungen ist der Inhalt des Vorspiels. Regisseur Claus Guth siedelt es in einem Theaterraum mit Eingangstüren in verschiedene Garderoben an (Bühne von Alfred Peter). Der Wechsel von Komik und Tragik ist in seiner schnellen Turbulenz ungemein präzise ausgearbeitet, zum über- und ergreifenden Höhepunkt wird die nur Sekunden aufflackernde Übereinstimmung zwischen Zerbinetta und dem Komponisten, wenn dieser – großartig intensiv gesungen von Fredrika Brillembourg – seinen Hymnus auf die Musik anstimmt.

Koloraturen ohne Ende – man möchte ihr an die Gurgel gehen

Die Aufführung der Oper selbst versetzt Guth in einen kafkaesken Kulissenraum und schafft damit eine gefängnisartige Situation für die Handelnden. Hier dominiert Zerbinetta, der ihre vier Liebhaber ob ihrer nicht enden wollenden Koloraturen am liebsten die Gurgel durchschneiden wollen. Anu Komsi meistert mit dieser Partie eine der schwersten Arien aus dem Koloraturfach überzeugend. Sie gibt eine explosive und direkte Komödiantin, und mit ihrer pragmatischen Lebensphilosophie bildet sie das richtige Gegenstück zur trauernden Ariadne: Gabriela Maria Ronge wirkt anfangs etwas zu erstarrt, aber in der Begegnung mit Bacchus (Graham Sanders) gelingen ihr ergreifende Töne. Für dessen Auftritt hat sich die Regie etwas Besonders einfallen lassen: tenörlich dümmlich stolpert Bacchus mit seinem Notenbuch in die Szene, um einen konzertanten Auftritt zu absolvieren.

Dieser zweite Teil, die Aufführung dieses fürchterlichen Gemisches, kann dem ersten nicht das Wasser reichen, weder vom Stück selbst noch von dieser Aufführung her. Guth arbeitet viel mit Licht- und Kostümsymbolik: das weiße Festkleid der Ariadne, der knallgelbe Chiffon der Zerbinetta, die grellgrünen Anzüge der Harlekine (Heikki Kilpäinen, Shivko Shelev, James Moellenhoff, Christian Weinhara) und das signalartige Roth der Nymphen (ein wunderbar harmonisches Trio mit Johanna Stinnez, Yanyu Guo und Birgit Binneweis) – die schönen Kostüme sind von Muriel Gerstner. Und immer zeigt Guth die Brüche zwischen Realität und Künstlichkeit, zwischen Wirklichkeit und Traum, und trifft damit die wesentlichen Aspekte dieses Werks.

Größten Anteil am Erfolg der Aufführung hat Günter Neuhold mit der musikalischen Wiedergabe. Nie wieder in der Oper hat Strauss ein derart kleines, solistisches Orchester verwendet. Neuhold entfaltet die auch in der Musik unüberhörbare Vielfalt der Ebenen höchst durchsichtig: deftige Konturen, plastische Linien, süffige Melodien und raffinierte Zweideutigkeit – kurz: all das, was der an Sprachgewalt müde gewordene Hofmanns-thal an der Kraft der Musik gefunden haben mochte.

Die Inszenierung wurde mit einigen Buhrufen bedacht: unverdient, macht sie doch, unterstützt durch die Qualität der musikalischen Wiedergabe, den Versuch, die künstlerische Reflexion über Produktion und Produktionsbedingungen von Theater sehr genau herauszuarbeiten. Gleichzeitig akzentuiert sie die Situation permanenter Mißverständnisse zwischen Ariadne und Bacchus, zwischen Zerbinetta und dem Komponisten, zwischen Komödie und Tragödie, und damit auch zwischen Strauss und Hofmannsthal selbst. Begeisterter Beifall besonders für die musikalische Ausführung. Ute Schalz-Laurenze

Nächste Aufführung: 29.5., 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz