: Wird die Schöne Neue Welt weiblich sein?
■ Ein verkorkster Sammelband zur feministischen Wissenschaftstheorie
Die weitgehende Ausgrenzung von Frauen, vor allem aus den Naturwissenschaften, war und ist für Feministinnen Anlaß, die scheinbare Objektivität moderner westlicher Wissenschaft in Frage zu stellen. Denken ist nicht denkbar, so lautet der Grundsatz feministischer Erkenntnistheorie, ohne die Bindung der Denkenden an ihre historischen Erfahrungshintergründe. Die Erfahrungen und Interessen des „weißen Mannes“ bilden den Hintergrund eines Großteils naturwissenschaftlich-technischen Wissens.
Aber läuft diese Kritik nicht inzwischen offene Türen ein? Am Ende dieses Jahrtausends verändern sich die Fundamente „weißer, männlicher“ Wissenschaft rapide: Informatik, Genetik oder Molekularbiologie beruhen inzwischen auf komplizierten Denksystemen, die die klassische Zweiteilung in erkennendes Subjekt („männlich“) und beforschtes Objekt (Frau, Natur oder „die Wilden“) nicht mehr zulassen.
Was bedeutet es aus feministisch-wissenschaftstheoretischer Sicht, wenn die Grenzen von „Technik“ und „Natur“ verschwimmen, etwa weil ein durch Genmanipulation künstlich kreiertes Lebewesen, die Onkomaus, nicht mehr eindeutig zuzuordnen ist? Bietet die Schöne Neue Welt den Frauen endlich die Teilhabe? Oder werden sie – nach ihrem Ausschluß in der klassischen Moderne – nun durch postmoderne Theorien wie den Dekonstruktivismus, dem die Körperlichkeit der Geschlechter als gesellschaftliches Produkt gilt, nun auch noch in ihrer realen körperlichen Existenz hinwegdefiniert?
Diesen Fragen ging eine 1993 vom Hamburger Institut für Sozialforschung organisierte Tagung nach. Der vorliegende Sammelband beruht auf einigen der dort gehaltenen Referate, ergänzt durch neuere Beiträge zum Thema, vor allem aus den USA. Ein Fazit läßt sich nicht ziehen: Die Autorinnen werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Es gibt auch keine eindeutige Polarisierung von bestimmten Streitfragen, lediglich mehr oder weniger emanzipatorische Facetten.
So sieht zum Beispiel Evelyn Fox Keller, Pionierin feministischer Wissenschaftskritik, Parallelen zwischen dem Dekonstruktivismus, wir alle seien bis in unsere Körper hinein Produkte gesellschaftlicher Vorstellungen, und der Reproduktionstechnologie, die die leibliche Mutter tendenziell durch die künstliche Gebärmutter ersetzen möchte. Dagegen warnt Gudrun Axeli-Knapp, die Kritik an der Technik und an der technokratischen Vernunft so weit zu treiben, die gesamte Tradition der Aufklärung und das mit ihr verbundene Projekt gesellschaftlicher Emanzipation gleich mit über Bord zu werfen.
Einig sind sich die Autorinnen nur darin, daß alles Wissen „situiertes“ Wissen ist, das die gesellschaftlichen Bedingungen seines Entstehens zu reflektieren hat. Dies gilt in noch stärkerem Maß für die technologische Anwendung des Wissens. Aber mehr als die auch aus anderen gesellschaftskritischen Ecken bekannte Forderung nach der demokratisch-politischen Rückkoppelung angeblicher technologischer „Sachzwänge“ bieten die Autorinnen nicht.
Oder sollte mir Wesentliches entgangen sein? Um alle Aufsätze zu verstehen, bedarf es der erfolgreichen Absolvierung mehrerer wissenschaftstheoretischer Oberseminare. Auf jeden Fall sollte frau im Jargon moderner und postmoderner Erkenntnistheorie zu Hause sein, bevor sie sich an die Lektüre macht. Die von Feministinnen immer wieder bejammerten Ausschließungsgesten, die die etablierte Forschung und Lehre gegenüber Frauen, Fremden oder sonstwie „anderen“ vollziehen, finden auch hier statt. Schuld daran sind nicht zuletzt die Übersetzerinnen, die aus den englischen philosophischen Fachausdrücken ohne viel Federlesens deutsche Fremdwortungetüme machen. Die Bedeutung der ganzen schwergewichtigen Überlegungen für die feministische Forschungspraxis, erst recht für feministische Politik, bleibt in den meisten Beiträgen vage. Die Erkenntis, daß männliche Wissenschaftler und Technokraten sich in ihrer Mehrheit wie die angelsächsische Märchenfigur Peter Pan verhalten, also wie ein Junge, der sich weigert, erwachsen zu werden und Verantwortung für seinen Spieltrieb zu übernehmen, ist ja nicht neu. Also: Take the toys from the boys! Aber wie? Claudia Pinl
Elvira Scheich (Hrsg): „Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie“. Hamburger Edition HIS Verlags GmbH, Hamburg 1996, 392 Seiten, 58 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen