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Babylonische Zustände auf der Baustelle

■ Die Gewerkschaft kämpft nach allen Seiten: Gegen die Wildwestmethoden der Konzerne, gegen die Dumpinglöhne und die Fremdenfeindlichkeit der Malocher

Am Potsdamer Platz in Berlin steht auf hohen Stelzen ein riesiger roter Container. Die drei Stockwerke sind vollgestopft mit Modellen, Computeranimationen und Werbetafeln. Sie zeigen, wie die Investoren Sony, Daimler, ABB und Bahn AG in den nächsten fünf Jahren die neue Mitte Berlins mit Glaspalästen und Hochhäusern aus dem Boden stampfen werden.

Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, wurde vor ein paar Tagen ein weiterer Container abgestellt – klein und fahlgelb angestrichen. Die Inneneinrichtung ist spartanisch: zwei Schreibtische, ein paar Stühle, der Telefonanschluß kommt erst noch. In der Blechunterkunft haben die Industriegewerkschaften Bau-Agrar- Umwelt und Metall ihr Aktionsbüro eingerichtet.

Die Gewerkschaft geht zum Arbeiter. Dorthin, wo die großen Baukonzerne und ihre Subunternehmer ausländische Betonierer und Eisenbieger zu Hungerlöhnen von 5 Mark oder weniger beschäftigen. Vor allem wollte man den zwischen IG Bau und Bauarbeitgebern vereinbarten Mindestlohn durchsetzen, damit nicht weiter einheimische Beschäftigte von ausländischen Billigkräften verdrängt werden. Der Mindestlohn für Arbeiter aus europäischen Ländern wurde mit 17,11 Mark (Ost) und 18,60 (West) in der Nähe der untersten Bauarbeiterlohngruppe des deutschen Tarifs (20,62 Mark brutto) festgesetzt.

Verständigungsprobleme

Doch mit der Verwirklichung annähernd einheitlicher Bezahlung sieht es schlecht aus. „Wir kommen an die ausländischen Kollegen kaum heran“, mußte Wilfred Hahn erfahren. Hahn ist einer von zwei Beauftragten der IG Bau, die 1.500 Arbeiter auf dem Potsdamer Platz über ihre Rechte informieren sollen. Vielleicht 400 von ihnen kommen aus aller Herren Länder, doch der Gewerkschafter spricht weder englisch noch portugiesisch oder russisch. Für persönliche Gespräche muß ein Dolmetscher her. Außerdem halten die ausländischen Kolonnen zusammen wie Pech und Schwefel. „Die gehen in Zweierreihen zum Frühstück und zurück“, berichtet Hahn. „Wer sich zu lange mit uns unterhält, läuft Gefahr, am nächsten Tag nicht mehr hier zu sein.“ Die Vorarbeiter haben mit gewerkschaftlicher Aktion nichts im Sinn.

Die Kontaktschwierigkeiten liegen auch darin begründet, daß die IG Bau den ausländischen Arbeitern kaum noch etwas anbieten kann. Denn die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bleibt hart: Die Vereinbarung über den Mindestlohn kann nicht in Kraft treten. So sind der Gewerkschaft die Hände gebunden. „Uns fehlt die Rechtsgrundlage“, räumt Wilfred Hahn ein.

Es gebe kaum noch Möglichkeiten, „Stundenlöhne von 5 Mark zu verhindern“, weiß auch Reiner Knerler, Geschäftsführer des IG- Bau-Bezirks Berlin Südwest. Statt des großen Wurfes bleibt da nur mühsame Detektivarbeit. Hat etwa ein portugiesischer Arbeiter zu Hause 6 Mark Lohn vereinbart, bekommt tatsächlich aber nur 3 Mark ausgezahlt? Behält die Schlepperorganisation die Hälfte als Miete für ein verlaustes Feldbett ein? In solchen Fällen machen sich die Gewerkschafter auf die Suche nach Zeugen für den ursprünglichen Vertrag und strengen auch schon mal eine Gerichtsklage an. Doch gegen die in großem Maßstab betriebene Lohndrückerei der Baukonzerne kann man mit dieser Einzelfallhilfe nur wenig ausrichten.

So hilflos die IG Bau die Hungerlöhne akzeptieren muß, so schwierig ist es für sie, ihre Forderung den deutschen Arbeitern zu vermitteln. „Nur der Mindestlohn kann eure Arbeitsplätze sichern“, versuchte Gewerkschafter Hahn einer Baukolonne beim Aktionstag gegen den Arbeitgeberverband am vergangen Freitag zu erklären.

Die Fremdenfeindlichkeit nimmt zu

Wenn die Arbeiter aus der Europäischen Union ähnlich teuer seien wie die deutschen, würden die Konzerne letztere nicht auf die Straße setzen. Doch der Gewerkschafter blickte in mürrische Gesichter. Ein Baggerfahrer aus Hamburg brach schließlich das Schweigen. „Die Polen kommen doch zu Hunderten und nehmen unsere Plätze ein. Warum soll man denen noch höhere Löhne zahlen?“ Eher wolle man sich vor die Baugrube stellen und verhindern, daß sie zur Arbeit gingen.

Inzwischen deuten einige Indizien darauf hin, daß sich unter den Bauarbeitern immer stärker Fremdenfeindlichkeit breitmacht. Eine vom Fernsehmagazin Panorama beim Umfrageinstitut infas in Auftrag gegebene Untersuchung ergab unlängst, daß bei den jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg 18 Prozent der Baubeschäftigten die „Republikaner“ wählten – gegenüber 9,1 Prozent im Durchschnitt der Wähler. Unter den Gewerkschaftsmitgliedern waren es sogar 19,2 Prozent. Und in Berlin ging gerade ein Bezirksvorsitzender der IG Bau in den vorzeitigen Ruhestand, weil er in einem offenen Brief gegen die „Parasiten“ gewettert hatte. Er sei mißverstanden worden, erklärt sein Nachfolger Reiner Knerler. Der bösartige Ausdruck habe sich auf die Schlepperorganisationen bezogen, nicht auf die ausländischen Kollegen.

Auf der Baustelle vor dem Berliner Reichstag fand Gewerkschafter Wilfred Hahn jedenfalls keinen ersichtlichen Zuspruch für seinen Appell gegen Ausländerfeindlichkeit. „Wir müssen mit den Kollegen noch viel diskutieren“, dämmerte ihm. Demnächst wolle man sich, mit Stulle und Thermoskanne bewaffnet, während der Frühstückspause zur Kolonne gesellen, um das Problem noch einmal eingehend zu erörtern. Hannes Koch

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