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„Wir ziehen das hier durch“

Wie ein Hausbesitzer in Prenzlauer Berg seit Jahren Mieter schlägt und schikaniert: „Kaputte Menschen, von einem sozialistischen Staat versaut“. Eine Chronologie, zusammengetragen  ■ von Gereon Asmuth

Zwischen den frischgetünchten Fassaden der sanierten Häuser in der Raumerstraße in Prenzlauer Berg bleibt der graue Putz an der Hausnummer 33 ziemlich unauffällig. Als eines der wenigen Häuser, die auch zu DDR-Zeiten in Privatbesitz geblieben waren, ist das Gebäude auch ohne aufwendige Sanierung heute in gutem Zustand. Nur die zwei Meter lange Briefkastenleiste im Eingangsbereich zeugt von der Entwicklung der letzten Jahre. Gerade drei einsame Boxen hängen hier noch an der Wand.

Im Sommer 1991 kündigte der Einzug eines jungen Griechen das Zeitalter eines neuen allmächtigen Privatbesitzers an. Als freundlicher junger Mann namens „Aki“ stellte er sich bei seinen ersten Erkundungsgängen bei den Mietern vor. Er habe die Hausverwaltung für einen anonymen Eigentümer übernommen.

Er schwärmte von einer großzügigen Modernisierung mit Whirlpools und Dachterassen. Doch die Hausbewohner fragten sich nicht nur, ob sie die Mieten nach der angekündigten Luxusmodernisierung zahlen könnten. Die Skepsis gegenüber dem neuen Hausverwalter wuchs, da er jedem Mieter etwas anderes erzählte. Die Mitarbeiter des Kiezladens in der benachbarten Dunckerstraße und des Mieterbündnisses „Wir Bleiben Alle“ (WBA) begannen Akis Aussagen zu sammeln. Gegenüber den Auszugsunwilligen in den oberen Stockwerken soll Aki auf die Wohnungsbrände in der Dunckerstraße verwiesen haben. Gleiches sei auch in diesem Haus möglich. Auch der Kauf von Zeugen sei für ihn ein legitimes Mittel. Anderen Mietern versprach er eine Bleibegarantie, wenn sie freiwillig ihre Mietzahlungen verdoppeln würden.

Der Kontakt zwischen den Mietern und ihrem Hausverwalter funktionierte nur über das direkte Gespräch. Der offizielle Postweg war ihnen verwehrt. Weder gab es einen Briefkasten der Hausverwaltung noch ein Namensschild an Akis Tür. Da Aki auch nach fast einem Jahr keine Vollmacht des Hauseigentümers vorweisen konnte, stellten im Mai 1992 die meisten Mieter auf Anraten des Mietervereins ihre Zahlungen ein. Nach weiteren Auseinandersetzung zeigte Aki schließlich einen Kaufvertrag für das Haus, aus dem hervorgeht, daß Aki selbst der Eigentümer ist und in Wirklichkeit Stavros Dimopoulos heißt.

„Hier wohnen alles Asoziale, total kaputte Menschen, die von einem sozialistischen Staat versaut worden sind“, schimpfte der enttarnte Eigentümer „Aki“ Dimopoulos. „Ich habe alles probiert, ich rede nicht mehr, ich handele nur noch. Wir ziehen das hier durch, aber auf die Gewaltige.“

Einige der Bewohner haben sich zwischenzeitlich dem Druck des Hausbesitzers gebeugt und zogen aus. Im September 1992 wurde daher auch das Wohnungsamt Prenzlauer Berg auf das Haus aufmerksam und mahnte den ungenehmigten Wohnungsleerstand an. Doch auch für das Bezirksamt ist Dimopoulos auf dem Postweg nicht zu erreichen.

Die Streitigkeiten zogen sich über Jahre hin. Im Oktober 1994 versuchten die Betroffenenvertretung, die Konflikte mit einem Runden Tisch, zu dem neben Senats- und Bezirksvertretern auch der Hauseigentümer erschien, zu lösen. Nach einer Sanierung der Gasleitungen auf der Straße hatte die Gasag bereits im August die Gasversorgung eingestellt. Der Mieteranwalt Volker Ratzmann beklagte darüber hinaus, daß die Polizei auf Antrag von Dimopoulos von zwei Mietern die Türschlüssel beschlagnahmte. Zwar hatte das Amtsgericht Mitte per einstweiliger Verfügung die Wiederherstellung der Mietverhältnisse und damit die Rückgabe der Schlüssel angeordnet, doch konnte die Verfügung ebenfalls nicht zugestellt werden. Ein vom Bezirksamt verhängter Zwangsgeldbescheid über 65.000 Mark wegen Leerstands von inzwischen 13 Wohnungen konnte dem Eigentümer dann zwar rechtswirksam zugestellt werden, allerdings konnte das Finanzamt den Bescheid dann nicht vollstrecken, da es dafür den Eigentümer hätte antreffen müssen – der war nun aber unbekannt verzogen.

Wenig später konnte Dimopoulos dem Bezirksamt jedoch Mietverträge für die benannten Wohnungen vorlegen. Hinter den grauen Gardinen, die seither die Fenster schmücken, wohnt allerdings niemand, wie sich im Januar diesen Jahres eine Gruppe jugendlicher Obdachloser bei ihrer Suche nach Wohnraum überzeugen konnte. Sie fotografierten dort nur als Abstellager genutzte Räume.

Gegenüber den verbliebenen Mietern wurde Dimopoulos zusehends rabiater. „Inzwischen hat er fast alle Mieter mal flachgelegt“, resümiert heute Jens Oliva von der Betroffenenvertretung des Sanierungsgebietes Helmholtzplatz. Im April vergangenen Jahres traff Dimopoulos auf einen jungen Mann, der bei der Renovierung einer Wohnung helfen will. Der Eigentümer, der ein Mietverhältnis für diese Wohnung bestreitet, drückt den Mann zu Boden. Nicht anders erging es der Mieterin, die wenig später auftaucht. Im Streit mit Dimopoulos erlitt sie Verletzungen am Kopf, wie ein Jahr später beide Parteien vor dem Amtsgericht berichteten. „Mein Mandant ist ein Mann des Wortes“, beteuerte der Anwalt des Hauseigentümers. „Sie selbst hat minutenlang ihren Kopf gegen eine Kommode geschlagen, bis sie geblutet hat“, versucht der Hauseigentümer seine Unschuld zu beteuern. Sie wollte der Polizei sagen, daß er es gewesen sei, erklärt er das angeblich selbstzerstörerische Vorgehen der Mieterin. Zuvor habe sie sogar mit einem Knüppel auf ihn eingeschlagen. Dimopoulos spricht von einem Kriegszustand in seinem Haus. „Die Mieter und die Justiz werden vom WBA instrumentalisiert. Diese anonyme soziale Organisation benutzt das Haus als Transmissionsriemen für ihre idologischen Ziele.“

Die Richterin verwies unbeeindruckt auf zurückliegende Verfahren wegen räuberischer Erpressung und Körperverletzung. Die danach fälligen Zahlungen seien, nicht wie Dimopoulos zu glauben vorgibt, eine Spende, sondern ein Bußgeld gewesen. Dimopoulos' Eltern und drei Frauen, die mit ihm in der Raumerstraße 33 wohnen, wollen ebenfalls den von dem Angeklagten geschilderten Hergang beobachtet haben. Doch die Richterin schenkte ihnen keinen Glauben, schon weil sie bei allen Gerichtsverfahren für Dimopoulos als Zeugen aufgetreten waren. Sie verurteilte Dimopoulos vor anderthalb Wochen zu einer Geldstrafe von 15.000 Mark. Der Verurteilte fühlt sich nun von einem „sozialistischen System“ verfolgt.

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