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Im Osten das Morgenrot

In Osteuropa bereitet Siemens den Bau neuer Atomkraftwerke vor. Nachrüstung alter AKW und Kooperation mit russischen Firmen  ■ Von Hermanus Pfeiffer

Hamburg/München (taz) – Die Siemens AG denkt über den Tag hinaus: „Um die wachsende Weltbevölkerung mit Strom zu versorgen und zugleich die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren“, heißt es im aktuellen Geschäftsbericht, „sind innovative Lösungen in der Kraftwerkstechnik gefragt.“ „Innovativ“ meint auch den Bau neuer Atomkraftwerke – zunächst wahrscheinlich in Osteuropa.

Bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg. Der einzige Hersteller von Atomkraftwerken in Deutschland muß überwintern. Der Siemens-Geschäftsbereich Energieerzeugung hat sich deshalb in den vergangenen Jahren auf den Handel mit Brennelementen und die Nachrüstung alter Atomkraftwerke konzentriert. Mit dieser Geschäftspolitik wolle man die Abschaltung eigentlich überfälliger AKW verhindern, heißt es in der gestern von der Siemens-Boykott- Kampagne in München veröffentlichten Studie „Siemens blockiert weltweit den Atomausstieg“. Der Konzern halte sich damit die Option offen, irgendwann doch wieder neue Atomkraftwerke bauen zu können.

Mittlerweile hat Siemens mit Hilfe von Gemeinschaftsunternehmen ein sicheres Standbein im russischen Energie- und Atomkomplex erworben. Dabei ist den Siemens-Managern auch die konventionelle Kraftwerkstechnik als Übergangslösung recht. Als „herausragendes Projekt“ bezeichnet der Konzern das konventionelle Kraftwerk im früheren Leningrad. Der deutsche Elektromulti liefert die Gasturbinen, deren Komponenten von der russischen Firma „Interturbo“ vor Ort zusammengebaut werden. Interturbo ist allerdings auch ein Gemeinschaftsunternehmen mit Siemens (42 Prozent). Mit „Kaluschski Turbinij Sawod“ gehört der größte Anbieter von Industrieturbinen in Osteuropa ebenfalls zu den Siemens-Beteiligungen. Jüngst erwarb man außerdem 20 Prozent des Kapitals an Rußlands „führendem Generatorenhersteller, der „AO Elektrosila“. Dieses Unternehmen gab gleichzeitig seinen Einstieg beim größten Turbinenhersteller des Landes, der „AO Leningradski Metallitscheski Sawod“ (LMZ) bekannt, der wiederum an Interturbo beteiligt sind: Der Ring schließt sich. Zusammen mit der Leittechnik von Nuclearcontrol, dem Nervenzentrum der russischen Atomkraftwerke, und „Interautomatika“ hält der westdeutsche Konzern damit ein mächtiges Kraftpaket. Komplettiert wird es durch eine Arbeitsvereinbarung mit dem russischen Ministerium für Atomenergie.

Die Mehrzahl der 14 russischen Joint-ventures von Siemens läßt einen Bezug zum AKW-Programm erkennen. „Wir sind damit als Partner und Teil der nationalen Wirtschaft bereits fest in der Russischen Föderation verankert“, freut sich KWU, die Energieabteilung von Siemens. Ebenso hofft man, russisches Waffenplutonium in Brennstäbe verwandeln zu dürfen. Obendrein will KWU mit den neuen Partnern auch auf Drittmärkten agieren. Vermutlich tut man dies bereits beim Weiterbau eines Atomkraftwerks im Süden des Iran. KWU hatte 1979 dort die Arbeiten eingestellt. Jetzt wird „Rußland“ das Werk vollenden, und Rußlands Atomwirtschaft ist ein gut Maß Siemens.

Mit dem russischen Atomkomplex hat Siemens zugleich den Zugriff auf den gesamten osteuropäischen Markt. Gestützt wird diese Position durch ein Engagement in Bulgarien, der Slowakei und einen kooperativen Einstieg beim tschechischen AKW-Hersteller Skoda.

Zunächst mögen die östlichen Beteiligungen im geschätzten Kapitalwert von 500 Millionen Mark nur bescheidene Wirkungen zeigen. Sicherheitstechnische Arbeiten am slowakischen Kernkraftwerk Bohunice erreichten ein Volumen von zehn Millionen Mark. Hinter der Landnahme im Osten steht aber vor allem die Hoffnung auf eine Sanierung der vorhandenen AKW-Standorte. Über 60 Atomkraftwerke stehen in Osteuropa. Die sicherheitstechnische Aufrüstung soll im Idealfall zwölf Milliarden Mark kosten (und wohl mit Atomstrom und niedrigen Gaspreisen bezahlt werden). Dafür macht Siemens seit Jahren medialen Dampf: „Sowjet- Reaktoren immer unsicherer“, prangerte Siemens vor Jahren beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung an! Zu den zwölf Milliarden kommen die Nebengeräusche: Die Stillegung von Tschernobyl wird eine Investition von etwa drei Milliarden Mark in konventionelle Kohlekraftwerke bewirken. Als Favorit auch für diesen Auftrag gilt Siemens.

„Das Hauptproblem ist nicht die fehlende Infrastruktur, sondern das fehlende Geld“, sagte Pressesprecher von Kühlmann- Stumm gegenüber der taz. Gegen diesen Mangel wird ein westliches Bündnis geschnürt, bestehend aus internationalen Organisationen, der Weltbank, der Europäischen Union, aus Hermes-Bürgschaften, einem Programm des Umweltministeriums und aus Stromversorgern. So sicherten am 20. Dezember in Ottawa die sieben wichtigsten Industriestaaten der Ukraine 2,3 Milliarden Dollar zu. Damit sollen der Unglücksreaktor in Tschernobyl stillgelegt und die ukrainischen Kohlekraftwerke ausgebaut werden.

Der Atom-Kuchen besteht nicht allein aus der Sanierung, aus Brennstoffversorgung und atomarer Dienstleistung, sondern über kurz oder lang ebenso aus Neubauten. Und diese Neubau-Option, immerhin gilt das „kerntechnische Geschäft“ der KWU als besonders lukrativ, ist Siemens zudem nicht ausschließlich aus geschäftlichen Gründen wichtig: Alle drei KWU- Chefs in den Neunzigern, darunter der jetzige Vorstandsvorsitzende von Siemens, Heinrich von Pierer, stehen in dem Ruf, vehemente Verfechter der Kerntechnik zu sein. Von wachsender Weltbevölkerung, steigendem Energiebedarf, Treibhauseffekt und immer wieder von der Wettbewerbsfähigkeit „unserer Wirtschaft“ wird da gesprochen. Die Landnahme im Osten sichert Optionen auf Neuland auch in Deutschland. Obwohl 1989 das bislang letzte AKW in der Bundesrepublik fertiggestellt wurde und lange Zeit neue Kernkraftwerke undenkbar schienen, entwickelt Siemens, zusammen mit seinem französischen Partner Framatome und mit Aufträgen einiger Eniergieversorgungsunternehmen (EVU) versehen, zwei neue Reaktortypen. Andere, wie RWE/Veba, sollen übrigens gegen solche Neubaupläne plädiert haben. Der „Europäische Druckwasserreaktor EPR“ könnte gegen Ende des Jahrzehnts in Bau gehen, heißt es aus München.

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