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Dienstleistung kommt von dienen

■ betr.: „Draußen nur Kännchen“, „Ladenschluß-Ethnologie“, taz vom 21. 5. 96

[...] Es geht doch nicht darum, „liebgewordene Gewohnheiten zu betonieren“, wenn die Beschäftigten im Einzelhandel gegen die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes stimmen. Es geht auch darum, daß ihre Lebensqualität deutlich eingeschränkt wird, wenn Frauen, die die größte Gruppe im Einzelhandel Beschäftiger bilden, abends nach 21, 22 Uhr nach Hause können.

Ich erinnere mich sehr genau an die taz-Umfrage vor zirka einem Jahr, was das sogenannte Nettoeinkommen und den dreigeteilten Abo-Preis betrifft. Da Ihr sicherlich bemerkt habt, daß ich eine beschäftigte Frau im Einzelhandel bin: Ich fand mich damals mit meinem Einkommen am vorletzten Rand wieder, das heißt mit 1.000 bis 2.000 Mark netto. Ich staunte nicht schlecht, welche einkommenstarken Leser die taz hat. Nun frage ich mich: Für diese paar Kröten soll ich mich abends um 20 Uhr nerven lassen, damit irgend jemand seine Shopping-Lebensqualität verbessern kann? Dazu habe ich einfach keinen Bock! [...] Christine A. aus Göttingen

Sagt mal, tazzen, die Scham ist vorbei, Ihr macht ein Yuppie-Blatt und steht dazu? Lebensqualität mit Einkaufsmöglichkeiten „für Millionen“ gleichzusetzen – da gibt's keine Hemmungen mehr? [...] Modischer ist heute, die Gewerkschaften anzupinkeln, wenn sie die Interessen ihrer Basis vertreten, anstatt ein paar tazler, die nachts aus der Redaktion wanken und dann erst merken, daß sie vergessen haben einzukaufen. Sonst seid Ihr doch immer bereit, die Entfernung der Funktionäre von denen anzuprangern, die sie gewählt haben. Wenn sie sich aber nach den Verkäuferinnen richten, die heute gerade eben noch Familie und Job unter einen Hut bringen, dann ist es auch wieder nichts. Ich weiß, das ist ein langweiliges Argument, gell? Wozu abonniere ich eigentlich eine Zeitung, die denselben Inhalt verbrät wie die Stuttgarter Zeitung, bloß poppiger? Gertrud Moll, Stuttgart

Natürlich habe ich mich auch schon geärgert, wenn ich vor verschlossener Ladentür um 18.30 Uhr stand; aber weniger über die Ladenschlußzeiten als über meine Desorganisation. Ich habe auch aus Dusseligkeit in manchem Stau gestanden, dennoch ist mir nicht eingefallen, diese Straße solle doch bitteschön vierspurig kreuzungsfrei ausgebaut werden.

Markus Franz (und mit ihm leider bisher alle, die in der taz zu den Ladenschlußzeiten geschrieben haben) gehört leider zu denjenigen, die beim Thema Ladenschlußzeiten nicht über den Tellerrand ihrer eigenen Konsumwünsche hinausblicken können. Selbst Andrea Böhm, deren fundierte Kommentare aus den USA ich ansonsten sehr schätze, fällt kaum Besseres ein, als beleidigt zu sein, wenn Supermarktangestellte pünktlich Feierabend machen wollen. Warum eigentlich nicht? Wer schlecht bezahlt wird, sollte wenigstens für die taz-Redakteure freiwillig länger arbeiten und Familie Familie sein lassen? Das Sein (ich will jederzeit konsumieren können) bestimmt eben das Bewußtsein.

Ich laß mal die Polemik. Ich möchte vielmehr einmal den Ursachen auf die Spur kommen, weshalb gerade taz-Redakteure sich so vehement gegen das Ladenschlußgesetz aussprechen. Ich meine, daß hier zwei linke Grundüberzeugungen die Haltung bestimmen:

1. Gesetze, Verordnungen, staatliche Beschränkungen sind per se schlecht. Sie gehören entweder übertreten (Solidarität mit dem türkischen Gemüsehändler) oder abgeschafft (hier trifft sich der Alt-68er-Hedonist mit dem Jung-Anarcho).

2. Besonders schlimm sind Gesetze, wenn sie deutsch sind. Überhaupt ist alles Deutsche per se schlecht, also auch die Ladenschlußgesetze, denn sie sind typisch deutsch.

An den Haaren herbeigezogen? Ich denke nicht. Denn allein schon der Mangel an Augenmaß in dieser Frage, die Unausgewogenheit der Stellungnahmen, ja die Häme, mit der bisweilen die Verteidiger der Ladenschlußzeiten überzogen werden, deutet für mich an, daß es hier ums Eingemachte der deutschen (?) Linken geht. In diesem Lichte besehen, wird für mich die zunächst zweitrangige Frage der Ladenschlußzeiten zu einer sehr spannenden Frage. [...]

Seltsamerweise hat sich noch keiner darüber aufgeregt, daß in den Ländern der Siesta-Kultur rund ums Mittelmeer die Läden von 13 bis 17 Uhr geschlossen haben. Das ist aber nicht deutsch, sondern mediterran, also gut. Im Zuge der Konzentration und Europäisierung verschwindet auch diese kulturelle Eigenart. Gott sei dank oder leider? Arbeitsplätze hat diese Veränderung bis jetzt nicht gebracht, nur mehr Hektik und Streß.

In den USA darf man (noch) auf den Autobahnen nicht schneller als 110 fahren und das auf fast leeren Straßen. Welche Knechtung, welche Beschränkung der individuellen Freiheit, welche Bremse der wirtschaftlichen Entwicklung (all die unproduktive Zeit, die auf der Straße zugebracht wird), möchte man da mit unseren „Die Läden auf!“-Kämpfern rufen. Gesetzliche Beschränkungen sind doch nicht grundsätzlich Unsinn, sie sind nachgerade notwendig, wenn sie dem Schutz der Bevölkerung dienen. Wozu Geschwindigkeitsbeschränkungen dienen, ist allgemein bekannt (Wer von den linken Männern hält sich schon daran?). Wen oder was aber schützt das Ladenschlußgesetz?

Es schützt eine Minderheit, diese Minderheit ist aber nicht schwarz, schwul oder eine vom Aussterben bedrohte Sumpfpflanze, sondern meist weiblich, unterbezahlt und urdeutsch. Es schützt sie vorm Aussterben durch die Konkurrenz der Schüler und Studenten, die auf die Gelegenheitsjobs nach 18.30 Uhr warten, und es schützt die kleinen Ladenbesitzer vorm Aussterben durch übermächtige Konkurrenz der Ketten.

Belebung der Innenstädte höre ich an dieser Stelle. Die 24-Stundeneinkaufszentren auf der grünen Wiese sind ihr Todesstoß. Man schaue sich die amerikanischen Down Towns an.

Das Gesetzt schützt aber auch uns alle vor einer Kulturentwicklung, die nur noch Konsumieren und Arbeiten, Arbeiten und Konsumieren kennt und manchmal nur noch Konsumieren ohne Arbeit. Mir graust es vor einer Gesellschaft, der das Gemeinschaftsstiftende eines Feierabends, eines verkehrsarmen Wochenendes, eines Rhythmusses, den jeder spürt, fehlt.

Vielleicht muß man etwas älter sein oder selbst im Handel tätig, um auch solche Aspekte empfinden zu können. Im übrigen: Ich hab' mir Milch und Brot auch schon von der Tankstelle geholt. Überteuert. Zur Strafe gewissermaßen. Rudi Wedekind, Hamburg

[...] Tatsache ist doch, daß Dienstleistung von dienen kommt. Und damit jeder, der für eine Dienstleistungsgesellschaft eintritt, für eine Gesellschaft eintritt, in der mehr gedient wird als zur Zeit. Und das kann nur möglich sein, wenn die Diener weniger verdienen, ihre Löhne gekürzt werden (und sei es nur durch die verlängerten oder in die Abendzeit verschobenen Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich) und ein paar wenige sich aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Einkommen Diener leisten können. Warum sagt Ihr Kommentator also nicht, daß er für eine Gesellschaft eintritt, in der es noch stärkere Klassenunterschiede geben soll, als es sie schon gibt.

Warum sagt Ihr Kommentator nicht, daß die Arbeit zu ungünstigen Zeiten familienfeindlich ist, nur kinderlose Arbeitnehmer können so rücksichtslos ihrem Broterwerb nachgehen.

Die Lebensqualität in den Städten, eine Belebung der Straßen ist doch viel eher möglich, wenn die Autofahrer aus ihren Blechbüchsen geholt werden und sich die Menschen wieder auf den Bürgersteigen begegnen und miteinander sprechen können, wenn in den Mitmenschen nicht nur Hindernisse für die eigene Fortbewegung gesehen werden. Und auch eine veränderte Stadtplanung, die kleinräumig orientiert ist, kann sicher mehr zur Lebensqualität beitragen, als noch mehr Konsum, als besinnungsloser Konsum. Jens Niemann, Hamburg

[...] In Italien machen große Märkte auf dem Lande von 12 bis 17 Uhr Pause, die kleinen Läden sowieso. Bäcker, die sonntags ein paar Stunden geöffnet haben, sind montags geschlossen. Tankstellen haben ab 20 Uhr zu.

Auch in anderen südeuropäischen Ländern gibt es Siesta. Das muß man hierzulande mal einführen, da möchte ich mal das Geschrei hören. Meistens gibt es im Süden Familienbetriebe, da arbeiten die Familienangehörigen für wenig Geld. Also die Strukturen sind ganz andere. Ebenso in den USA, wo die Dienstleistungen von großen Handelskettten organisiert werden und auf der grünen Wiese stattfinden.

Schreiberling sollte mal eine Woche in einem kleinen Laden arbeiten, auch samstags. Wenn der Laden um 18 Uhr schließt, kommt man um 19 Uhr erst raus, wenn andere Kultur genießen. [...] Gerhard Usinger, Berlin

Ich will nicht sagen, daß dieser Kommentar das Dümmste ist, was ich bisher zum Thema gelesen habe – dafür gibt es ja die herkömmliche Presse, die genügend zum „Ladenschluß“ schreibt. Aber so etwas auf der Seite 1 der taz zu finden, da kann ich als Abonnent ja nur vor Scham im Boden versinken.

Lieber Markus Franz, Dein Allheilmittel sind also längere Ladenöffnungszeiten: Wo kommt denn das Geld her, daß die KonsumentInnen dann mehr ausgeben? Mehr Geld kommt doch dadurch nicht in die Haushalte, oder? Es kann allenfalls eine Verlagerung stattfinden, und zwar hin zu den Geschäften, die es sich leisten können, länger zu öffnen: und daß das nicht gerade kleinere Unternehmen sind, ist wohl auch Deiner Logik zugänglich, oder?

Der rasante Personalabbau im Handel wird also durch die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten gestoppt? Das möchte ich aber mal (nicht mit Platitüden) erklärt haben. „Es gibt Millionen von Menschen, für die es ein Gewinn an Lebensqualität wäre, wenn sie länger einkaufen könnten?“ Mit diesem Satz, lieber Markus, hast Du Dich entlarvt, und allen ist klar ersichtlich, wo Du gelernt hast: Dort, wo uns eingebleut wird, daß das Glück dieses Lebens im Konsum, im uneingeschränkten, liegt.

„So bestätigt sich der traurige Ruf, daß Deutschland im Dienstleistungsbereich international hintansteht.“ Ein Kommentar, der aus lauter Leerformeln besteht – auf der Seite 1 in der taz. Die Wende, die die CDU 1981 eingeleitet hat, ist allen Mitgliedern der bundesdeutschen Gesellschaft inzwischen durch alle Poren gesickert. Und diejenigen, die nichts anderes kennen als diese Zeit der schwarzgelben Koalition, posaunen ihre duale Weltsicht ungehemmt hinaus:

Auf der einen Seite fordern, daß der erreichte soziale Status der Arbeitnehmerinnen nicht abgebaut wird, – aber zu jeder Zeit überall bedient werden wollen, natürlich persönlich, freundlich, individuell. Billige Flugreisen, die Möglichkeit zwei- bis dreimal im Jahr per Luft zu verreisen, fleißig nutzen – und gleichzeitig gegen Luftverschmutzung, Ozonloch etc. anschreiben und eine saubere Umwelt (in die mann ja reisen will) fordern. Ökosteuern fordern – aber trotzdem die Fortbewegung wählen, die für ihren Treibstoff keine Steuern zahlt. Die Höhe des Gehalts nach oben offenlassen wollen – aber für eine Gerechtigkeit für die ganze Welt eintreten und mit drohendem Zeigefinger fordern, daß der Norden Verzicht üben muß, sollen die Lebensbedingungen in der südlichen Hemisphäre nur annähernd gebessert werden. Journalisten (und Politiker) wie Markus Franz machen klar, warum sich nichts ändert: im Großen wie im Kleinen. Rudolf Döhr, Vlotho

Ist ja mal wieder ganz toll! Herr Franz weiß, daß die Gewerkschaften nichts wissen. Klar, die haben ja nicht alle gefragt, und die, die sie gefragt haben, könnten es sich ja auch noch anders überlegen. Außerdem weiß man ja, daß Arbeitgeber sowieso völlig unberechenbar sind. Vielleicht würden sie ja, wenn sie weniger pro Zeiteinheit umsetzen, ganz toll bezahlte Leute einstellen. Kann doch sein!

Und wenn die Gewerkschaften schon nichts wissen, dann ist es ja beruhigend, daß Herr Franz wenigstens so genau weiß, daß es Millionen von Menschen gibt, für die es ein Gewinn an Lebensqualität ist, länger einkaufen zu können. Und wenn er die gefragt hat, dann überlegen die es sich auch nicht anders. Würden sie sich ja gar nicht trauen, bei so einem klugen Alleswisser. Das würde der doch bestimmt merken, und dann stünden sie dumm da! Und das mit den Kännchen haben sich ja auch die Gewerkschaften ausgedacht! Arbeitgeber kämen ja gar nicht auf die Idee. Reginald Ferber, Darmstadt

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