: SPD will Tarifautonomie aushebeln
■ Scharping will Mindestlohn für den Bau gesetzlich verankern. Gewerkschaften fürchten um ihr Mitspracherecht
Bonn (taz) – Die SPD will alles tun, um Deutschlands Bauarbeitern doch noch Mindestlöhne zu garantieren. Ihr Fraktionschef Rudolf Scharping sprach sich gestern für eine parteiübergreifende Aktion zur Einführung eines Mindestlohngesetzes für das Baugewerbe aus. Scharping sagte, die SPD wolle gesetzliche Mindestlöhne am Bau auf der Grundlage von 75 Prozent des Facharbeiterlohnes durchsetzen. Dies entspräche den im Baugewerbe ausgehandelten Tarifverträgen über Mindestlöhne von 18,60 Mark im Westen und 17,11 Mark im Osten.
Scharping hofft, daß dadurch das „ruinöse Verhalten“ des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeber (BDA) im Tarifausschuß korrigiert werden kann. Die tarifliche Vereinbarung über allgemeinverbindliche Mindestlöhne am Bau war am Dienstag im Tarifausschuß an den BDA-Vertretern gescheitert. In den vorangegangenen Tarifverhandlungen hatten die Bau-Arbeitgeber den Mindestlöhnen dagegen zugestimmt. Ursprünglich hatte die SPD die Mitbestimmung der Tarifparteien beim Entsendegesetz abgelehnt, sich aber von der CDU umstimmen lassen.
Mit ihrem Vorschlag rührt die SPD erstmals seit Kriegsende an der Tarifautonomie von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Würde die Politik Mindestlöhne festsetzen, so hätten die Tarifpartner keinen Einfluß auf dessen Ausgestaltung. Eine entsprechende Festschreibung von Niedrigstlöhnen bestärkte in Ländern wie den USA zudem den Trend zum Lohndumping: Der Mindestlohn wird zum Regelfall, höhere Löhne zur Ausnahme.
Arbeitsminister Blüm verteidigte gestern die Tarifautonomie prompt. An der Vorfahrt der Sozialpartner bei den Lohnabschlüssen müsse festgehalten werden. Der Hauptgeschäftsführer der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Jürgen Radloff, erklärte: „Ich halte es für sehr gefährlich, wenn sich der Gesetzgeber in die tarifliche Autonomie einmischt.“ Die Tarifautonomie werde dadurch auf Dauer untergraben. Und auch IG-Bau-Sprecher Werner Köhler hält ein Mindestlohngesetz für „Blödsinn“: „Wir lassen uns doch nicht irgendwelche Löhne vorschreiben. Dann brauchen wir auch keine Gewerkschaften mehr.“ Markus Franz Kommentar Seite 10
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