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Was ist deutsch?

■ Drei Fotoausstellungen in den Deichtorhallen: Das deutsche Auge, MAGNUM und Sebastiao Salgado

Sauerkraut, Ordnung, Bier, Größenwahn... Was ist „deutsch“? Die überraschende Antwort, die die große Fotoausstellung in den Deichtorhallen seit heute bietet, ist ein kühler Blick, ja vielleicht gar kalte Distanziertheit. Sie stellt sich als spezifisch deutscher Blick im Bildjournalismus heraus.

Der Hamburger Mentor der Fotografie, F.C. Gundlach, hat unter dem Titel Das deutsche Auge erstmals eine solche Zusammenstellung deutscher Bilderzeugung aus 75 Jahren vorgenommen: Präsentiert werden 34 Bildautoren von Erich Salomon bis Wolfgang Tillmans, vom Nazilichtbildner Hilmar Pabel bis zum Twen-Fotograf Will McBide. Und in dieser Summe ergibt sich eher nüchterne Objektivität als auffällige Spur und Kontinuität von den Zwanziger Jahren über die Propagandabilder der nationalsozialistischen Machthaber bis heute: eine Art auch Menschen abzubilden, als sei es Industriefotografie.

Doch sind gerade jene unterkühlten Ansichten in Zeiten der Medienflut die vielleicht einzige Art, zu Bildzeichen zu kommen, die den Blick zum Nachdenken festhalten. In Wilfried Bauers „Stumpf der Bergulme“, trist im Staub unter einer Brücke, sieht man die Reste eines Baumriesen, der der Autobahn A8 im Weg stand.

Die Alltagsbrutalität kleinbürgerlich gestalteter Campingplatzeckchen von Dirk Reinartz sind die besten Beispiele eines Stils, der die absolute Sachlichkeit seit Bloesfeldts Pflanzenaufnahmen bis zu den Dokumentationsserien der Bechers auf den Bildjournalismus überträgt.

Dennoch scheint es gewagt, speziellen Ästhetiken eine Nationalität zuweisen zu wollen. Der internationale Vergleich ist gleich in dieser Ausstellung möglich, ist doch Das deutsche Auge nur ein Drittel der Bilderflut in der nördlichen Deichtorhalle. Daneben sind nochmal 250 Bilder aus dem Fundus der gerade 50 Jahre alt gewordenen Agentur MAGNUM zu sehen. Neben Arbeiten der Klassiker Henri Cartier-Bresson, Robert Capa und der ganzen langen Liste ist hier auch der deutsche Thomas Höpker wiederzufinden.

Und als Drittes zeigt das ausführliche Bilderbad des Hamburger Fotosommers noch einmal über 200 Fotos des Brasilianers Sebastiao Salgado. In seiner Serie Workers porträtiert er sensibel die meist arme Klasse der Handarbeiter aus aller Welt, vom Ölbrandlöscher in Kuweit zu den Goldschürfern im Amazonas, vom Zuckerrohrschneider in Kuba zum Werftarbeiter in Polen – und das ist nun ganz gewiß keine sachlich distanzierte Bestandsaufnahme, ohne das man hier von einem besonderen „brasilianischen Blick“ sprechen möchte.

Hajo Schiff

Bis 1. September

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