Der Zwei-Drittel-Lehrling

Angesichts knapper Lehrstellen plädieren die Länderchefs Schröder und Biedenkopf für den Teilzeit-Azubi. Gewerkschaften empört  ■ Aus Bonn Markus Franz

Lehrstellen sind rar und werden von Jahr zu Jahr knapper. Angesichts dieser Notlage möchten Sachsens Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) und sein niedersächsischer Kollege Gerhard Schröder (SPD) nun den Teilzeit- Lehrling einführen. Nach den Vorstellungen der beiden Politiker, die sie in ihrem Standortpapier zur Entwicklung der Arbeitsmarktlage angedacht und jetzt konkretisiert haben, könnten sich drei Azubis zwei Lehrstellen teilen. Jeder arbeitet zwei Drittel der normalen Arbeitszeit, erhält aber auch entsprechend weniger Lohn.

Schröder und Biedenkopf begründen ihren Vorschlag mit dem dramatischen Lehrstellenmangel. Die Ausbildungsplätze gingen laut Gewerkschaftsangaben in diesem Jahr im Westen um 33.900 Stellen, also 7,6 Prozent zurück, im Osten um 2.600 Stellen (4,2 Prozent). Zugleich stieg die Zahl der BewerberInnen im Westen um 7,1 Prozent auf rund 26.000, im Osten um 11 Prozent auf 17.300. Diese außergewöhnlich hohe Ausbildungslast, so Schröder/Biedenkopf, verlange außergewöhnliche Beiträge nicht nur der Unternehmen, des Staates und der Tarifparteien, sondern auch der Lehrlinge selbst. Ein Programm „Zwei für einen“ oder „Drei für zwei“ könne als Ausdruck der Solidarität unter den Lehrlingen auch zum Abschluß zusätzlicher Ausbildungsverhältnisse motivieren. Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbände lehnten den Vorschlag der beiden Politiker gestern vehement ab.

Als „Riesenschweinerei“ bezeichnete Kurt Kiesel von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Vorschlag. Bei diesem Teilzeit-Modell müßten sich die Lehrlinge praktisch selbst finanzieren, da sie von dem Lohn eines Zwei-Drittel-Gehalts nicht leben könnten. Im Metall- und Elektrobereich liegt die Vergütung eines Lehrlings bei rund 1.000 Mark pro Monat.

Joachim Koch-Bantz von der Abteilung Bildung der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) kritisierte, mit dem Modell werde die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland aufs Spiel gesetzt.

Selbst der Bundesverband Deutscher Arbeitgeber (BDA) erteilt dem Modell des Teilzeit-Lehrlings eine Abfuhr. Ausbildungsexperte Jens Köllmann sagte, an den Ausbildungszeiten sei nicht zu rütteln. Allerdings begrüße der BDA den Vorschlag, die Ausbildungskosten zu reduzieren. Die hohe Vergütung trage dazu bei, daß viele Betriebe die Einstellung von Azubis scheuten. Der Arbeitgeberverband will sich zwar verpflichten, fünf Prozent mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, aber nur, wenn im Gegenzug die Ausbildungsvergütung um fünf Prozent gesenkt wird.

„Solche Appelle reichen nicht mehr aus“, meint Sabine Baun, Sprecherin der niedersächsischen Landesvertretung in Bonn. Schröder und Biedenkopf gehe es angesichts der ernsten Lehrstellensituation darum, etwas anzuschieben. Dabei sei es egal, ob der Vorschlag kontrovers diskutiert werde, „Hauptsache, es wird überhaupt diskutiert“.