: „Die Leute aus Pale sind primitiv“
In Banja Luka, der größten Stadt des serbisch beherrschten Teils Bosniens, wächst die Abneigung gegen Karadžić. Doch der Serbenführer kann mit der Unterstützung der Armee rechnen ■ Aus Banja Luka Erich Rathfelder
„Omarska 3 km“ steht auf einem Straßenschild auf dem Weg nach Banja Luka in Westbosnien. Es deutet auf das Konzentrationslager hin, das hier 1992 eingerichtet worden war. Doch die Menschen im Café einer nahe gelegenen Tankstelle möchten nicht an die Vergangenheit erinnert werden. Die Tische sind voll besetzt. Es wird getrunken und gelacht. Die Speisekarte ist in kyrillischer Schrift geschrieben.
Es sind friedliche Frühsommertage, die die Menschen in Banja Luka in vollen Zügen genießen. Die warmen Sonnenstrahlen werden nach diesem langen und kalten Winter gierig aufgesogen. Im Zentrum der mit 200.000 Einwohnern größten Stadt der sogenannten Serbischen Republik in Bosnien- Herzegowina wimmelt es von Spaziergängern. Frauen lassen ihre Kinder spielen, junge Männer stehen in Gruppen herum, viele von ihnen trinken Bier.
„Was sollen sie auch sonst tun?“ Neven F. ist ungehalten. Der junge Mann, der Techniker beim örtlichen Fernsehen ist, hat selbst noch Glück gehabt. Obwohl von der Armee im Zuge der Demobilisierungen der letzten Monate entlassen, war es ihm gleich gelungen, wieder einen Job zu finden. Rund 50 Deutsche Mark verdient er jetzt im Monat. „Das ist verdammt wenig, aber ich kann mit anderen Arbeiten noch etwas dazuverdienen.“ Er entwickelt Fotos oder hilft den Mitarbeitern internationaler Organisationen, sich in der Stadt und Umgebung zurechtzufinden.
Doch die meisten seiner Altersgenossen sind arbeitslos. Nur 20 Prozent der jungen Leute haben eine der mies bezahlten Beschäftigungen ergattert. Für die rund 40.000 Flüchtlinge aus der kroatischen Krajina ist nicht einmal dies möglich. Nur jene ehemaligen Soldaten, die jetzt bei der Polizei sind, verdienen für hiesige Verhältnisse fürstlich: 1.000 Dinar im Monat, rund 300 Mark.
„Alle Leute brauchen Geld, die Ökonomie muß wieder funktionieren.“ Die Dame im Vorzimmer des kürzlich gestürzten Premierministers der Republika Srpska, Rajko Kasagić, spricht damit vielen Menschen aus dem Herzen. Und sie verkündet dabei das Programm des Mannes, der in den letzten Monaten hier von Banja Luka aus die Serbische Republik geführt hatte. Um wieder zu zivilen Verhältnissen zurückzukehren, war Kasagić bereit, die Bedingungen des Friedensabkommens von Dayton umzusetzen. Der serbisch kontrollierte Teil Bosniens sollte Schritt für Schritt zu einem gewissen Maß an Rechtssicherheit zurückfinden. Auch vertriebene Muslime und Katholiken sollten in die Region zurückkehren können. Kasagić war bereit zur Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln und die für den Herbst geplanten Wahlen abzuhalten.
Der Putsch des Präsidenten der Republik, Radovan Karadžić, hat das Rad wieder zurück gedreht. Handstreichartig hatte der „Präsident“ der Republika Srpska Mitte Mai die bisherige Regierung abgesetzt und mit dem neuen Premierminister Gojko Klicković einen jener radikalen Extremisten an die Macht gebracht, die seiner Politik entsprechen. Auch wenn Karadžić beschlossen hat, angesichts des internationalen Drucks und der Anklage als Kriegsverbrecher fortan offiziell im Hintergrund zu bleiben, so demonstrierte er doch mit dieser Tat, daß er weiterhin die Fäden in der Hand halten will. Und dieser Umstand bedeutet nichts Gutes für die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina. Die Folgen sind Abgrenzung, neue Spannungen und der Verzicht auf jeden Versuch, eine wirtschaftliche Erholung einzuleiten.
Nina ist wütend. Die Studentin und Kellnerin in einem Café im Zentrum der Stadt nimmt kein Blatt vor den Mund. „Daß die Leute aus dem Bergkaff um Sarajevo“, – sie meint damit Pale –, „uns beherrschen wollen, ist eine Zumutung. Wir sind schließlich hier eine Großstadt und kultiviert. Die Leute aus Pale sind doch primitiv.“ Und die Gäste amüsieren sich über die Pläne Karadžić', ein neues Sarajevo als Hauptstadt der Serbischen Republik aufzubauen, nachdem Sarajevo für den serbischen Staat in Bosnien verlorengegangen ist.
Die Vorbehalte gegenüber der Extremistenhochburg Pale sitzen auch bei anderen Bewohnern tief. Die Serben Ostbosniens seien mehr auf Belgrad ausgerichtet, während die Serben Westbosniens sich traditionell als Teil der westlichen Welt fühlten, erklärt ein Hochschullehrer, der vor dem Krieg mit einer Kroatin verheiratet war. Banja Luka sei das Zentrum der bosnischen und von Teilen der kroatischen Krajina gewesen. Im ehemaligen Jugoslawien sei die Region wirtschaftlich und kulturell mehr auf Zagreb als auf Belgrad ausgerichtet gewesen. Viele Menschen aus Banja Luka hätten in Zagreb studiert, hätten am dortigen kulturellen Leben teilgenommen. Außerdem hätte die Region am Touristenboom der siebziger und achtziger Jahre in Kroatien teilgehabt, indem sie ihre landwirtschaftlichen Produkte an die Küste liefern konnte. „Damals wurde Geld verdient.“ Und das erlaubte einen relativ hohen Lebensstandard.
Jetzt ist Banja Luka von all dem abgeschnitten. Und die Verbindung zur Außenwelt führt immer noch ausschließlich durch den serbisch kontrollierten Korridor bei Brčko. Das wirtschaftliche Leben wird über Belgrad abgewickelt. Angesichts der langen Transportwege und der unsicheren politischen Lage kann sich die Region aber nicht entwickeln. Wollten ihre Repräsentanten ernst machen mit einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, dann brauchten sie den Frieden und den politischen Ausgleich mit Sarajevo und auch mit Kroatien.
Vor dem Rathaus sind die schweren Limousinen einer US- amerikanischen Delegation aus Washington vorgefahren. Die Amerikaner sprechen mit Bürgermeister Predrag Radić, einem älteren, weißhaarigen und freundlich dreinblickenden Herrn. Bei der Pressekonferenz bleibt er zurückhaltend. Denn der amerikanische Botschafter aus Sarajevo, John Menzies und Mike Montgomery, der Abgesandte des Präsidenten Bill Clinton, spielen direkt auf die Spannungen zwischen Banja Luka und Pale an. Die USA seien sehr gern bereit, mit Banja Luka und der Republika Srpska zu kooperieren, sagen sie. Ökonomische Hilfe werde es jedoch erst geben, wenn die Kriegsverbrecher von der Macht verdrängt seien. Denn: „Mit Kriegsverbrechern gibt es keine Kooperation.“ Bürgermeister Radić rückt unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Jetzt sind er und Kasagić am Zug. Wollten sie die Bedingungen der USA erfüllen, dann müßten sie einen Machtkampf mit Pale wagen.
Ob sie dazu aber in der Lage sind? Die serbisch-bosnischen Journalisten in Banja Luka bleiben skeptisch. „Wenn ich meine Meinung dazu sage, kann dies meinen Kopf kosten“, murmelt einer. Doch er bedeutet immerhin, daß es nicht so schnell zu einem Machtkampf kommen werde. Auch die Moderaten in Banja Luka wollten eine Serbische Republik in Bosnien und den Vorkriegszustand nicht wiederherstellen.
„Ein Zusammenleben mit Kroaten und Muslimen wie früher ist für uns Serben nicht mehr möglich,“ meint der Journalist. Auch die Moderaten wollten die Vertriebenen nicht zurückkehren lassen, „ob sie das Gegenteil unterschreiben oder nicht.“ Zudem besitze Karadžić weiterhin die Unterstützung der Armee. Die Armeeführung unterstehe nämlich „dem Kommandeur“. Und damit meint er Ratko Mladić, den ebenfalls als Kriegsverbrecher gesuchten General. „Nur Ifor oder die internationale Polizei könnten solche Leute verhaften.“
Doch im Hauptquartier der UN wird abgewinkt. „Das können und wollen wir nicht.“ Peter Steininger ist deutscher Polizist und Mitglied der UN-CIVPOL-IPTF. Die umständliche Abkürzung steht für die internationale Polizeitruppe der Vereinten Nationen, die den zivilen Teil des Daytoner Abkommens abstützen soll. Es sind 30 Polizisten aus vielen Ländern darunter, die in der Region Banja Luka Dienst tun. Alle Polizisten dieser Truppe sind unbewaffnet und sollen die lokale Polizei lediglich beraten. „Selbst wenn Karadžić an mir vorbeiläuft, kann ich nichts tun, ich habe gar keine Befugnis einzugreifen.“ Dies könnte allein Ifor tun, aber sie habe sich bisher immer geweigert, mutmaßliche Kriegsverbrecher zu verhaften.
Nicht weit vom Rathaus entfernt öffnet sich der Blick in die ehemals von Muslimen dominierte Altstadt. Dort stand bis vor dem Krieg eine der berühmten Moscheen aus dem 15. Jahrhundert. Sie wurde gesprengt. Gras wuchert auf dem eingeebneten Platz. Aus den Straßencafés von gegenüber dringt aufdringlich laute Musik. Hier, sagt der Begleiter, habe er 1993 muslimische Frauen die Straßen kehren sehen – Zwangsarbeiterinnen. Als er sich näherte, hätten ihn sofort Geheimpolizisten abgedrängt. „Wer weiß, was aus den Frauen geworden ist.“
Banja Luka ist eine „ethnisch gesäuberte“ Stadt geworden. Nur noch rund 6.000 der ehemals fast 80.000 Nichtserben leben hier. Es handelt sich meist um Partner aus Mischehen. Nach der ersten Welle der Vertreibung wurden in den folgenden Jahren die Nichtserben mit Hilfe des Roten Kreuzes und des UNHCR nach Kroatien oder in die zentralbosnische Stadt Travnik gebracht.
Pero-Ivan Grgić ist Leiter der Caritas am katholischen Bischofssitz von Banja Luka. Die Caritas betreut 16.572 Menschen, bringt Lebensmittel, Kleidung, hilft vielen – unabhängig davon, ob sie nun katholisch sind oder nicht. Die Lage sei seit dem Dayton-Akommen besser geworden, sagt Grgić. Noch vor Jahresfrist habe man auf die Kirche geschossen. Die Polizei ginge nicht mehr so willkürlich vor, wie noch im letzten Jahr, erklärt er. Und er erinnert an den Priester Tomislav Matanović, der am 25. August 1995 in Prijedor verhaftet wurde und seither gemeinsam mit seinen Eltern verschwunden ist. „Bisher konnte niemand über sein Schicksal Auskunft geben.“
Der Landstraße führt vorbei an den Orten des Schreckens dieses Krieges, an Kozarac, an Keroterm und an Omarska. Aus dem Autoradio kommt die Nachricht, das Oberkommando der internationalen Ifor-Truppen habe beschlossen, ab sofort alle Kriegsverbrecher, die von den Soldaten erkannt würden, zu verhaften. Täten sie dies wirklich, könnten die moderaten Politiker in Banja Luka aufatmen. Und die Stadt hätte eine Chance, sich an dem wirtschaftlichen Aufbauprogramm für Bosnien zu beteiligen. „Langsam“, sagt der serbische Posten an der Grenze nach Kroatien, „nur langsam kann es zum Frieden kommen.“
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