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Vor „Habitat“ regiert die Polizei

Die türkische Regierung befürchtet Proteste gegen ihre Kurdenpolitik auf der UN-„Habitat“-Konferenz. Die Polizei geht gegen Straßenkinder, Prostituierte und streunende Tiere vor  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Die UNO-Städtekonferenz „Habitat II“, die am Montag in Istanbul beginnt, sorgt schon im Vorfeld für Ärger und Konflikte zwischen dem türkischen Staat und regimekritischen Gruppierungen. Den Umstand, daß Istanbul Gastgeber der Mammutkonferenz ist, will der türkische Staat für einen internationalen Propagandafeldzug in den Medien nutzen. Immerhin werden neben rund 4.500 offiziellen Vertretern von Regierungen auch mehrere tausend Unternehmer und rund zwölftausend Teilnehmer am Forum der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie etwa 3.000 Journalisten aus aller Welt erwartet.

Die Istanbuler Stadtverwaltung unter dem islamistischen Bürgermeister Tayyip Erdogan und die Zentralregierung in Ankara, untereinander wegen der Frage verkracht, wer der legitime nationale Ansprechpartner bei einer internationalen Städtekonferenz ist, trafen auf ihre Art Vorbereitungen zur Konferenz.

In den vergangenen Wochen überzog Tag für Tag eine Staubwolke Istanbuler Straßen, weil die bestehenden Bürgersteige aufgerissen und neu gepflastert wurden. „Sie reißen alte Granitsteine aus und bedecken alles mit Gußbeton, der nur wenige Jahre hält!“ empörten sich Istanbuler Architekten in einer Protestaktion auf der Fußgängerstraße Istiklal, wo wochenlang Bulldozer wüteten.

Die Istanbuler Polizei vertrieb unterdessen mit Prügeleinsätzen und massiven Razzien Straßenkinder, Bettler und Prostituierte aus dem Zentrum der Stadt – sie würden dem „Image“ der Türkei Schaden zufügen. „Säuberungstrupps“ der Polizei sind unterwegs, die gegen jeden vorgehen, der den Konferenzteilnehmern irgendwie unangenehm auffallen könnte. Dazu gehören auch ambulante Händler, oftmals Flüchtlinge aus Kurdistan, die keine Chance haben, eine andere Stelle zu finden.

Angestellte der Stadtverwaltung verstreuten Gift in den Straßen und machten auch mit Gewehren Jagd auf streunende Katzen und Hunde. „Für eure Konferenz werden Tiere massakriert“, schrieben türkische Tierschutzvereine an ausländische NGOs. Man habe, so hieß es, Tierkadaver gefunden, deren innere Verätzungen darauf hindeuteten, daß die Tiere mit Säure getötet worden seien.

Doch der Hauptkonflikt für das türkische Gastland wird sich an der kurdischen Frage entzünden. Der anerkannte türkische „Verein für Menschenrechte“ gehört wie andere oppositionelle, türkische Organisationen zu den Boykotteuren der Konferenz. „Ein Hohn auf den Begriff Humanität ist es, wenn in einem Land, wo menschliche Besiedlungen abgebrannt und zerstört werden und Menschen mit Gewalt aus ihren Häusern vertrieben werden, Habitat durchgeführt wird, eine Konferenz zu menschlichen Besiedlungen“, heißt es in einem Flugblatt des Vereins.

Angesichts von zwei Millionen aus ihrer Heimat vertriebenen Kurden hätte man die Konferenz auch problemlos in Ruanda, dem Irak oder Exjugoslawien durchführen können, spottet der Menschenrechtsverein. Er wird nicht an dem NGO-Forum teilnehmen und hat ein alternatives Habitat- Forum organisiert, wo die Verletzung des Rechts auf Wohnen und der Krieg in Kurdistan thematisiert wird. Doch auch im NGO-Forum werden türkische und internationale NGOs herbe Kritik an der Kurdenpolitik des türkischen Staates formulieren. Entsprechend den Grundsätzen der Vereinten Nationen genießen Teilnehmer von UN- Konferenzen diplomatische Immunität, und das Gastland muß eine entsprechende Zusage abgeben. Lange Zeit weigerte sich die Türkei, ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen. Und der Sprecher des türkischen Habitat-Gastkomitees, Sinan Gokcen, verwies gar auf China, das erst kurz vor Beginn der Weltfrauenkonferenz in Peking im vergangenen Jahr zur Unterzeichnung dieses Abkommens bereit war.

Nun sollen Äußerungen im Kontext „menschlicher Besiedlungen“ Immunität genießen. Welchen Reim sich die Staatsanwälte, immer auf der Suche nach neuen Anklagemöglichkeiten wegen „separatistischer Propaganda“, nach dem Ende der Konferenz daraus machen, wird sich erst entscheiden, wenn die Zehntausende Besucher Istanbul wieder verlassen haben.

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