: Heißes Gelöbnis mit Ausfällen
■ Das erste öffentliche Vereidigung von Bundeswehrsoldaten in Berlin ging nicht ungestört über die Bühne: Etwa zweihundert GegnerInnen drangen bis vor das Charlottenburger Schloß vor. Die Polizei griff brutal gegen sie durch
Berlin (taz) – Begleitet von gellenden Pfiffen fand gestern nachmittag das erste öffentliche Gelöbnis von Bundeswehrsoldaten in Berlin statt. Etwa 200 GegnerInnen der Veranstaltung hatten es trotz rigider Polizeiabsperrungen bis zum Platz vor dem Schloß Charlottenburg geschafft. Sie taten ihr Bestes, das Ereignis nicht ungestört über die Bühne gehen zu lassen: „Aufhören! Aufhören!“, „Mörder! Mörder!“, „Ausziehen! Ausziehen!“, „Nie wieder Deutschland!“ oder „Sankt Pauli! Sankt Pauli!“, lauteten die Parolen.
In seiner Rede propagierte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen dessenungeachtet preußische Tugenden. „Wir verstecken unsere Soldaten nicht, wir sind stolz auf sie.“ Bundespräsident Roman Herzog beruhigte: „Niemand muß sich vor uns fürchten.“ An die 300 Rekruten gerichtet, beschwor er die Wichtigkeit internationaler Kampfeinsätze, um Frieden zu schaffen – beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien: „Sie können stolz sein, einen solchen Dienst leisten zu können.“ Unfreiwillig bewiesen dabei mehrere Rekruten, daß Volker Rühes Truppe nicht für jedes Kampfgebiet ausgerüstet ist: Bei Temperaturen um die 30 Grad begann es unter den Baretten zu dampfen. Mehrere junge Männer brachen zusammen und mußten von Kameraden beiseite geschafft werden.
Zuvor hatte die Berliner Polizei unter Einsatz eines Wasserwerfers und brutal knüppelnder Beamter den Sicherheitsabstand zum Schloß verteidigt. Mehrere Demonstranten wurden an den Haaren gezogen oder im Würgegriff in Mannschaftswagen gebracht. Zuvor hatte es vereinzelte Steinwürfe gegeben.
Auch die bündnisgrüne Abgeordnete Judith Demba bekam Polizeischläge zu spüren, obwohl sie den Beamten zuvor ihren Parlamentsausweis gezeigt hatte. Zwei PDS-Abgeordnete, die mit einem Transparent zum Schloß vordringen konnten, wurden festgenommen. Die etwa 100 geräumten DemonstrantInnen gehörten zu einer Gruppe, denen es gegen 13.30 Uhr gelungen war, 200 Meter näher an das Schloß zu gelangen, als es das Verwaltungsgericht erlaubt hatte. Zwar hatte das Gericht das polizeiliche Demonstrationsverbot aufgehoben, weil die von der Polizei angeführte „Würde“ des Gelöbnisses kein „schützenswertes Rechtsgut“ sei, gleichwohl verfügte auch das Verwaltungsgericht einen Sicherheitsabstand, mit dem akustische Störungen verhindert werden sollten. Hinter der Absperrung demonstrierten etwa 1.000 Personen gegen die Militärzeremonie. Der Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Christian Herz, kritisierte die Absperrung als „Demarkationslinie der Demokratie“.
In der Zuschauergruppe vor dem Schloß dürften sich ebenso viele ZivilpolizistInnen befunden haben wie „eingesickerte“ DemonstrantInnen. Wer bis hierher vorstoßen wollte, mußte sich rigiden Kontrollen unterwerfen. Wer mit einer Trillerpfeife erwischt wurde, mußte sie abgeben oder erhielt einen Platzverweis.
Der brutale Polizeieinsatz wurde gestern sowohl von PolitikerInnen als auch Berliner BürgerInnen kritisiert. Die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion, die ehemalige DDR-Oppositionelle Marion Seelig, nannte den Einsatz „absoluten Schwachsinn“. An den Absperrungen unmittelbar vor dem Schloß gab es außerdem Wortgefechte zwischen der Polizei und AnwohnerInnen. Letztere durften zwar in den Bereich der Absperrungen hineingehen, sie aber nicht mehr verlassen. Der Sprecher der im „Darmstädter Signal“ organisierten kritischen Offiziere und Unteroffiziere, Helmut Prieß, kritisierte das öffentliche Gelöbnis als „preußisch-deutsches Militarismusspektakel“. Hans-Hermann Kotte, Uwe Rada
Kommentar Seite 10, Bericht Seite 25
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