: Ein Polizist der anderen Art
■ Gesichter der Großstadt: Jörg-Hartmut Riechers ist der neue Ansprechpartner der Polizei für Lesben und Schwule. Er will zum ersten Mal Gewalt gegen Lesben dokumentieren
Er trägt einen Schnurrbart, ein blaues Jeanshemd, dazu eine enganliegende, schwarze Jeans und eine schwarze Lederjacke. Kriminalhauptkommissar Jörg-Hartmut Riechers würde in keiner Schwulenkneipe auffallen. Doch auf die Frage, ob er sich kleidungsmäßig bewußt der Szene anpasse, antwortet er lachend: „Nein, so laufe ich immer rum.“
Daß er als Kriminalbeamter keine Uniform tragen muß, ist dem jugendlich wirkenden 47jährigen ganz lieb. Und in seinem neuen Job als „Ansprechpartner der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ wäre die grüne Kluft auch mehr als hinderlich. „Kommen Sie in Uniform?“ war die erste Frage von Mitarbeiterinnen eines Lesbenprojektes, bei der sich der Nachfolger des pensionierten Heinz Uth vorstellte.
„An die Lesben kommst du nicht so leicht ran, die reden nicht mit dir“, wurde dem Hetero und Vater einer 24jährigen Tochter und eines 21jährigen Sohnes beim Amtsantritt im Februar signalisiert. Doch damit gab sich Riechers nicht zufrieden. Er nahm Kontakte zu zahlreichen Lesbenprojekten auf. Dort wurde seine Initiative eher mit Genugtuung registriert, da sein Vorgänger sich auf die Zusammenarbeit mit schwulen Projekten konzentriert hatte. Den Neuen erlebte eine Mitarbeiterin eines Lesbenprojektes als „sehr umgänglich“.
Riechers stellte schnell fest, daß Gewalt gegen Lesben im Gegensatz zu antischwuler Gewalt kaum dokumentiert wird. In Zusammenarbeit mit vier Lesbenprojekten will er dies ändern. Ab dem Herbst werden die Frauenzentren „Ewa“ und „Frieda“, der Sonntagsclub und die Lesbenberatung in der Kulmer Straße nach dem Vorbild des schwulen Überfalltelefons als Anlaufstelle zur Verfügung stehen. Schon jetzt können sich Lesben, die angepöbelt oder überfallen wurden, mit Riechers in Verbindung setzen. Allein in den letzten zwei Monaten sind ihm vier Fälle von Gewalt gegen Lesben zugetragen worden.
Doch häufig findet dieser Aspekt bei Polizeibeamten keine Beachtung, denn die sexuelle Identität des Opfers spielt strafrechtlich keine Rolle. Das jüngste Beispiel: Zwei Studentinnen wurden in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai in Schöneberg von einer fünfköpfigen Bande überfallen und mit dem Messer bedroht. Auf den mehrfachen Hinweis, sie seien Hand in Hand gegangen, reagierten die Beamten nicht. Hätten sie sich nicht an die Lesbenberatung gewandt, die sie an Riechers verwies, wäre dieser Zusammenhang verborgen geblieben.
So sieht Riechers seine Aufgabe auch darin, seine Kollegen zu sensibilisieren. In internen Schulungen versucht er, Vorurteile gegenüber Lesben und Schwulen aufzubrechen. Eine Vermittlerrolle übernimmt er nicht zum ersten Mal. Als 1967 die ersten Studentendemonstrationen Berlin erschütterten, gehörte der damals 18jährige dem „Diskussionskommando“ der Polizei an. Die Gespräche mit den Studenten sollten den Konflikt deeskalieren. „Aber teilweise wollten die gar nicht mit uns reden.“ Schon damals verspürte er einen „inneren Zwiespalt“ zu seinem Beruf, denn die 68er Proteste hielt er für berechtigt.
Aus „Drang nach persönlicher Freiheit“ war er mit 17 zum Polizeidienst gekommen. Der „abgebrochene Gymnasiast“ wollte aus dem Elternhaus ausziehen. Nun war er zwar finanziell unabhängig, doch der Drill der Ausbildung mißfiel ihm. Diskussionen waren allenfalls im Diskussionskommando gefragt, aber nicht mit Vorgesetzten. Weil Riechers selbständig arbeiten wollte, wechselte er bald zur Kripo. Er kam zur „Großen Streife“, die bei Mord- und Raubdelikten, Erpressung und großen Einbrüchen ermittelte.
Als Leiter einer Ermittlungsgruppe in der Direktion IV eckte er mit seinem – für damalige Verhältnisse – unorthodoxen Führungsstil an: Daß Riechers die Vernehmung eines Tatverdächtigen einem Kollegen überließ, der dem Verdächtigen schon mal ein Geständnis entlockt hatte, und sich mangels Schreibkraft selbst an die Schreibmaschine setzte, wurde ihm als „Führungsfehler“ ausgelegt. Ein Vorgesetzter, der tippt? Undenkbar. Riechers sollte Besserung geloben und lehnte ab. Er zog eine Versetzung vor, auch wenn dies mit finanziellen Einbußen verbunden war. „Nicht krumm zu gehen“ war ihm wichtiger, sagt er.
Auch Riechers' Hobbys sind für einen Polizeibeamten eher ungewöhnlich: Er malt, vor allem abstrakte Gemälde in Öl. Außerdem fährt der frühere Marathonläufer Radrennen. Daß seine neue Aufgabe von beiden Seiten „viele Anfeindungen bringen kann“, ficht ihn nicht an. In Grenzüberschreitungen geübt, schaute er auch schon bei einem Treffen autonomer Lesben im Mehringhof vorbei. Dorothee Winden
Jörg-Hartmut Riechers ist unter Tel.: 699-34673 zu erreichen.
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