Monroe auf Tüte

■ Allein gedreht, allein geschaut: "Russisches Kino nach der Perestroika", arte-Themenabend ab 21.45 Uhr

Olegs Braut geht fremd. Lena will nicht länger warten, bis der arme Schlucker das nötige Geld zur gemeinsamen Existenzgründung bei geologischen Ausgrabungen in der Pampa verdient hat, sondern wählt in Moskau den Nächstsolventen zum Gatten. Oleg reist Lena nach, rückt ihr, wie er nur kann, auf die Pelle, bis zum völligen Bankrott und bis die Umworbene schließlich einen lachenden Dritten ehelicht.

In Georgi Danelijas „Kopf und Zahl“, den arte an seinem Themenabend „Nostalgie und Neubeginn: Russisches Kino nach der Perestroika“ ausstrahlt, laufen die Helden einer romantischen Fiktion und die Bilder selbstironisch einer einstigen Avantgarde hinterher. Hier ist Moskau ein verwunschener Ort, an dem blanker Darwinismus herrscht, und das, was so gern als „russische Seele“ gerühmt wird, tiefes Gefühl, schnelle Tränen und sentimentale Lieder, wirkt nur noch wie Hohn. Wenn Oleg der Abtrünnigen hartnäckig den Hof macht, sich über beide Ohren verschuldet, um teure Medikamente für ihre Genesung zu besorgen, die dann doch an die Falsche geraten, ist das nicht nur eine tragisch-komische Beziehungsgeschichte, sondern zugleich eine wunderbare Parabel auf die Verrenkung des traditionsbewußten russischen Kinos, das sich nach Kräften anstrengt, die Vermählung von Film und Kommerz zu boykottieren.

Vielleicht mal abgesehen von Andrei Tarkowski und seiner Suche nach einer verlorenen Spiritualität, Konschalowskis schwerblütigen, religiösen Elegien oder Michalkows kunstgewerbliche Idyllen blieb der westlichen Kritikerwelt der russische Film der letzten Jahrzehnte meist nebulös. Was für die einen unübersteigbare Verständlichkeitsbarrieren bedeuteten, feierten die anderen als mystisch-romantische Vieldeutigkeit, die sie mit ambitiösen Metapherndeutungen und wilden Spekulationen über die russische Befindlichkeit bedachten.

Knut Elstermanns Dokumentarfilm „Kino ohne Kompaß“ und sein Porträt des Filmwissenschaftlers und Eisenstein-Experten „Naum Klejman – Das Kino-Gedächtnis“ arbeitet sich nicht an einer vermeintlich russischen Volkspsyche ab, sondern skizziert sachlich Produktionsnöte und Absatzschwierigkeiten des russischen Films der Postperestroika. Da kostet die Kamera schon mal die exotische Wirkung eines Monroe-Porträts auf minderwertigen Plastiktüten aus, als staune sie, daß den Russen dieser Teil des westlichen Zivilisationsangebotes überhaupt zuteil werden konnte.

Und für alle Laien in Sachen Eisenstein, Pudowkin oder Wertow dürfte es ein kniffeliges Unterfangen bleiben, die unbetitelten Filmsequenzen in Bezug zu den hier vielzitierten „alten Mythen des russischen Films“ zu setzen. Zumeist beschränkt sich die Dokumentation jedoch auf Handfestes. Jungregisseure und Alteingesessene erzählen von den Schwierigkeiten des kompromißlos autonomen Kinos, von den Sorgen, ihre Filme nicht nur alleine zu drehen, zu produzieren, sondern auch anschauen zu müssen.

In einem Land, dessen Kulturdirektiven einst den Film als „wichtigste aller Künste“ huldigten und finanzierten, wirken die Rentabilitätsgesetze einer zunehmend privatwirtschaftlichen Filmindustrie besonders erbarmungslos. Kinoräume werden an Banken und Tankstellen vermietet. 300 jährliche Filmproduktionen sind auf 30 geschmolzen. Kein Wunder, daß sich Naum Klejman über alles aus glorreicheren Zeiten Hinübergerettete ein Loch in den Bauch freut, und sei es auch nur Pudowkins wild getupfte Krawatte. Birgit Glombitza