Das Portrait
: Der Underdog

■ Wladimir Jakowlew

Daß die Medien von St. Petersburg ihn nicht wollten, ihm weder ihre Seiten noch ihre Kanäle öffneten, konnte Wladimir Jakowlew zu Recht in seinem Wahlkampf immer wieder beklagen. Doch genau dies scheint ihm seinen unerwarteten Sieg gebracht zu haben. Im Kampf um den Gouveneurssessel von St. Petersburg, auf dem Anatoli Sobtschak offenbar unverrückbar fest zu sitzen schien, mußte Jakowlew auf die Straßen und an die Wohnungstüren. Schüttelte Hände, sprach die Menschen persönlich an und präsentierte sich auf öffentlichen Veranstaltungen.

Mit dieser Rolle als „Underdog“, dessen Korruptionsvorwürfe Medien und Machtestablishment in schöner Kameraderie verschweigen wollten, schaffte Jakowlew das Kunststück: Obwohl selbst Teil dieses Machtestablishments und noch dazu formal verantwortlich für die regelmäßig kollabierende Infrastruktur der Sieben-Millionen-Stadt, glaubten vor allem die „kleinen Leute“ an ihn. Vielleicht, weil er mit schönen Versprechungen sehr sparsam umgehen mußte und im wesentlichen Blut, Schweiß und Tränen versprach: Solle sich etwas ändern, müßten die Ärmel aufgekrempelt und in die Hände gespuckt werden. Statt – und das zielte auf Sobtschak – sich als Liebling des Westens in Repräsentationsaufgaben zu ergehen und dabei die alltägliche Wirklichkeit von Europas drittgrößtem Stadtgewimmel aus den Augen zu verlieren.

Daß er bisher als hierfür Verantwortlicher weder die Metro am Laufen hielt noch das dringend notwendige Wohnungsneubauprogramm auf die Reihe brachte, beruht laut Jakowlew an den von Sobtschak bislang falsch gesetzten Prioritäten.

Der 51jährige studierte Techniker, der als Ingenieur arbeitete, bevor er zur Stadtverwaltung ging, versuchte sich als Musterschüler des als erfolgreich eingeschätzten Stadtadministrators von Moskau, Juri Luschkow, zu präsentieren. St. Petersburg habe keine Zukunft als Finanzzentrum und TouristInnenziel, so wie es Sobtschak vorschwebe, sondern müsse zu seiner ursprünglichen Rolle als Hafen und Industriezentrum zurückkehren. Die Materialschlacht, mit der er in der Endphase des Wahlkampfs ganz St. Petersburg mit Plakaten und Flugzetteln zuschüttete, läßt vermuten, daß er gute Beziehungen zu den Wirtschaftskreisen hat, die er mit Steuererleichterungen dazu bringen will, in der Stadt zu investieren. Reinhard Wolff