: Champagner für alle
■ 1.000 Widerständler gegen den „Neoliberalismus“ kamen nach Berlin. Von Staudammprojekten und Frauenhandel
Berlin (taz) – Ein „wundervoller Turmbau zu Babel“ sei es gewesen, meinte der mexikanische Musiker Guillermo Briseño begeistert – und keinesfalls ironisch. Tatsächlich herrschte babylonische Sprachverwirrung auf den Gängen des Berliner Congress Centrums, das am Wochenende zum Schauspatz eines Politkongresses der etwas anderen Art wurde: Über 1.000 „Herzenszapatisten“ aus nicht weniger als 26 west- und osteuropäischen Ländern waren einem Aufruf der Guerilla aus dem mexikanischen Chiapas gefolgt und für drei lange Tage und Nächte nach Berlin gekommen, um über „die Krake des Neoliberalismus“ und „unsere Widerstände dagegen“ zu diskutieren.
Eine surreale Szenerie: Von leuchtendroten Transparenten aus luden maskierte Marsmenschen zum „intergalaktischen Fest“ und zum „Griff nach den Sternen“ ein. Ein mysteriöser Käfer – für Eingeweihte Don Durito, das intellektuelle Alter ego des Subcomandante Marcos – verkündete von T-Shirts und Buttons allerorten „Ya basta“. Bei der Eröffnung der Soliveranstaltung für die mexikanischen Befreiungskämpfer schlug ein junger Schotte als neues Logo für den internationalen Zapatismus ein Sektglas vor, und der Slogan „Champagner für alle“ war dann schon eine der konkreteren Forderungen der Veranstaltung.
Darum sei es ja gegangen, so Briseño, trotz der „neoliberalen Lawine“, die hier wie dort alles Leben und Arbeiten jenseits der (Welt-)Marktlogiken unter sich zu begraben droht, endlich mit den diskreditierten Schemata der alten Linken zu brechen und „neue politische Kulturen“ zu entwickeln. Neu war in Berlin vor allem, daß die Revolte im mexikanischen Südosten zwar Anlaß, aber nicht eigentlicher Gegenstand des Treffens war: Statt klassischer Solidaritätsarbeit ging es vielmehr darum, die „zapatistische Lektion“ – die überaus erfolgreiche Verknüpfung lokaler und globaler Kämpfe und Diskurse – auf die eigenen Verhältnisse zu übertragen.
„Statt Protestbriefe oder Geldspenden nach Mexiko zu schicken“, so ein holländischer Aktivist, „sollten wir lieber in unseren Ländern revoltieren – das ist das beste, was wir für die Leute in Chiapas tun können.“
Die Erwartungen der VeranstalterInnen, der Mexiko-Gruppe des Berliner Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile und Lateinamerika (FDCL), wurden am Wochenende jedenfalls „weit übertroffen“. Von „Tunten bis Trotzkisten“ sei alles dabei, und keinesfalls als Déjà-vu altbekannter Gesichter und Parolen, sondern eher als bunter und auffallend junger Querschnitt aus den sozialen Bewegungen Europas.
Symptomatisch für das bunte Spektrum von Themen war schon das Auftaktpodium: Da sprach Olga Juck, lesbische Filmkritikerin aus Leningrad und Mitbegründerin der Libertären Partei Rußlands, von den „seltsamen Erfahrungen eines entfesselten Kapitalismus“ nach lateinamerikanischem Vorbild, während neben ihr José Perez, französischer Eisenbahner und Gewerkschafter, in flammender Rede zu einem „europaweiten Generalstreik“ aufrief.
Ein Vertreter der „unabhängigen serbischen Metallarbeiter-Innengewerkschaft“, Dragomir Oljuc, beschrieb die „Rekolonisierung“ des ehemaligen Jugoslawiens durch das internationale Kapital.
Kurz darauf berichtete ein eher schüchterner Baske vom jahrelangen Kampf gegen ein Staudammprojekt in seiner Heimat, und die mexikanische Zahnärztin Marcela Sosa-Krahl, in Frankfurt gegen Frauenhandel aktiv, bezeichnete die Sexindustrie als „extremsten Ausdruck neoliberaler Logik“. Anne Hufschmid
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