USA lassen Nato-Partner von der Leine

■ Nato-Frühjahrstagung beschließt in Berlin neue militärische Rolle für Europa. In europäischen Krisengebieten werden Militäreinsätze künftig auch ohne die USA geführt. Frankreich kehrt nach 30 Jahren in das Bündnis zurück

Berlin (AFP/taz) – Europa wird künftig innerhalb des Nordatlantischen Bündnisses (Nato) eigene militärische Aufgaben übernehmen können, die nicht unter amerikanischem Oberbefehl stehen. Darauf einigten sich gestern die Nato-Außenminister auf der Frühjahrstagung des Bündnisses in Berlin. Die Minister beschlossen, sogenannte Schnelle Eingreiftruppen aufzustellen, die in Krisenfällen unter der politischen und strategischen Kontrolle der Westeuropäischen Union (WEU) operieren. Die Einsätze werden dann von europäischen Generälen geführt.

Der WEU gehören zehn europäische Staaten an, die alle Mitglieder der Nato sind. In einer solchen reformierten Nato will Frankreich wieder „voll und ganz“ seinen Platz in der Allianz einnehmen, wie Außenminister Hervé de Charette ankündigte. Er begrüßte die Einigung als „großen Erfolg für Europa“. Frankreich kehrt damit nach 30jähriger Abwesenheit in die Kommandostrukturen der Nato zurück.

Die Europäer werden nach den Worten von US-Außenminister Warren Christopher mit der Reform der Nato in die Lage versetzt, größere Verantwortung zu übernehmen. „Wir unternehmen einen dramatischen Schritt auf dem Weg zur internen Anpassung der Nato“, sagte Christopher. Einerseits werde das Bündnis flexibler, zum anderen werde die europäische Dimension innerhalb der Nato gestärkt, wobei jedoch die einheitliche Kommandostruktur sowie die transatlantischen Verbindungen gewahrt blieben.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel sagte, die innere Struktur der Nato müsse so verändert werden, daß das Bündnis „schnell und wirksam zur Vorbeugung und Eindämmung von Regionalkonflikten beitragen kann“. Auf Dauer sei es weder im amerikanischen noch im europäischen Interesse, „daß wir jedesmal unsere amerikanischen Freunde zu Hilfe rufen müssen, wenn es irgendwo brennt“. In Anspielung auf die unterschiedlichen französischen und amerikanischen Auffassungen über die neue Nato-Struktur sagte Kinkel, die Beschlußfassung über „die Partnerschaft der Gleichen“ sei nicht einfach gewesen.

Im Entwurf für die Abschlußerklärung heißt es, die „neue europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität“ innerhalb der Nato erlaube die „Bildung von militärisch zusammenhängenden und schlagkräftigen Streitkräften, die in der Lage sind, unter der politischen Kontrolle und strategischen Leitung der WEU zu operieren“. Diese Truppen können auf die Infrastruktur der Nato zurückgreifen, jedoch muß bei Einsätzen der gesamte Nato-Rat seine Zustimmung erteilen.

Die Nato will zukünftig „WEU-geführte Operationen vorbereiten“. Dafür „müßten abtrennbare, aber nicht getrennte Hauptquartiere und Kommandostrukturen“ geschaffen werden. Innerhalb der Nato wird es in Zukunft ein sogenanntes Doppelhutprinzip geben. Je nach Art des Einsatzes entscheidet der Nato-Rat, ob die Operation unter dem „Nato-Hut“ oder dem „WEU-Hut“ abläuft.

Zum Ende ihrer Tagung bekräftigten die Außenminister, daß die internationale Bosnien-Friedenstruppe (Ifor) ihren Auftrag bis zum Ablauf ihres Mandats im Dezember „etwa in ihrer gegenwärtigen Personalstärke“ von rund 60.000 Mann erfüllen werde. Die Bosnien-Kontaktgruppe tagt heute in Berlin.

Rund 800 Menschen haben gestern gegen die Frühjahrstagung demonstriert. Die Veranstalter, mehrere linke und autonome Gruppen, hatten ursprünglich mit 5.000 TeilnehmerInnen gerechnet. gb

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