Präsidentenpoker ohne Dame

Den neuen russischen Präsidenten machen die Männer unter sich aus. Die einzige Bewerberin wurde von der Wahlkommission unter fadenscheinigen Gründen abgeschmettert  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Ende der achtziger Jahre zog Galina Starowojtowa, 50, als Mitbegründerin der Partei Demokratisches Rußland die Quotenbefürworterinnen unter den Russinnen auf: „Wenn ihr eure weibliche Spezifik so herausstreicht, könnten die männlichen Deputierten auf die Idee kommen, das Geflecht der Frau bilde die Decke, bis zu der ihr Verstand reicht.“ Von den eigenen Qualitäten zutiefst überzeugt, glaubte Galina damals noch daran, ganz allein und aus eigener Kraft sämtliche männlichen Konkurrenten in die Flucht schlagen zu können.

Etwas von dieser Selbstgewißheit muß noch dieses Frühjahr im Spiel gewesen sein. Denn da versuchte sie sich als einzige weibliche Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen am 16. Juni zu qualifizieren. Geeignet für den Versuch, den amtierenden Präsidenten Boris Jelzin zu entthronen, schien sie wie keine zweite. Wenn sie gemessen zum Mikrophon schreitet und majestätisch den Mutterblick in die Runde ihrer aufmerksamen Zuhörerinnen schweifen läßt, fällt einem ganz plötzlich ein, daß dieses Land ja eine ganze Reihe regierender Zarinnen gekannt hat.

Ihre Erfahrungen als Deputierte in den russischen Parlamenten seit 1990 und zwei Jahre lang als Nationalitätenberaterin des Präsidenten haben die Soziologinnen und Anthropologinnen inzwischen aber doch zur Einsicht gebracht, daß Frauen ihrer Diskriminierung gemeinsam begegnen müssen.

Für die anfangs zitierte Bemerkung entschuldigte sich Galina später. Heute münzt sie ihren einzigen Spruch um: „Es gibt eine gewisse Decke, über die hinaus sich eine Frau bei uns einfach nicht strecken kann. Deputierte darf sie offensichtlich noch werden. Aber Präsidentin – nein, das ja nun doch nicht. Da schreit das männliche Unterbewußtsein: ,Die hat jetzt wohl jedes Maß verloren!‘“

Was ist passiert? Es sei nur noch einmal daran erinnert, daß das Wahlgesetz der Russischen Föderation von allen KandidatInnen in spe bis spätestens zum 16. April mindestens eine Million „Pro-Unterschriften aus der Bevölkerung gefordert hatte, um für die Wahl registriert zu werden. Starowojtowas Team schleppte weit über eine Million Unterschriften heran.

Doch die zentrale Wahlkommission wandte auf diese Autogramme das Prinzip der kollektiven Haftung an. Sie warf ganze Aktendeckel zum Ausschuß, sobald nur eine Unterschrift darin von ihren beiden graphologischen Gutachtern als gefälscht bezeichnet wurde. Sechshunderttausend Unterschriften für die Kandidatur der Grande Dame der russischen Demokratiebewegung wurden auf diese Weise ungültig.

Ein Versuch Starowojtowas, ihre Disqualifizierung vor dem Obersten Gericht anzufechten, blieb erfolglos. Wenngleich Zeugen, deren Namenszüge aussortiert worden waren, dort schworen, wirklich unterschrieben zu haben. Das Gericht nahm solche Aussagen zwar zu Protokoll, veranlaßte aber keineswegs die Kommission dazu, diese Unterschriften wieder anzuerkennen.

Über jede beliebige Frau, die im Präsidentschaftsrennen mitgemacht hätte, wäre die Freude der Russinnen so groß gewesen, daß die Betreffende mindestens fünf Prozent aller Stimmen eingeheimst hätte, meint Soziologin Starowojtowa. „Die wären dem sogenannten demokratischen Lager ebenso abgegangen wie dem Chef der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow“, ist Galina Starowojtowa sich sicher.

Sie ist fest davon überzeugt, daß die Teilnahme einer Frau die anderen Kandidaten gezwungen hätte, die Gleichberechtigung der Russinnen als Ziel in ihre Wahlplattformen aufzunehmen. Heute erklärt Starowojtowa sibyllinisch: „Keiner der Prätendenten auf das höchste Amt im Staate war daran interessiert, daß es in diesem Kartenspiel eine Dame gibt.“

Drei Frauen aus dem in Moskau ersten und ältesten feministischen Klub F 1 wollen gar nicht ausschließen, daß im Falle der Registrierung wirklich massiver Druck „von oben“ auf die Wahlkommission ausgeübt wurde. Trotzdem sprechen sich Mascha, Dascha und Natascha überraschend einhellig für eine Wiederwahl Präsident Jelzins aus. „Nicht, daß wir ihm den Tschetschenienkrieg verzeihen könnten“, sagte Mascha, „aber für uns bewußte Frauen hat sich das Leben unter dem gegenwärtigen politischen System einfach zum Besseren gewandt: Überall in Rußland sprießen Frauenorganisationen aus dem Boden. Alle werden ohne größere Probleme registriert. Und niemand sagt uns jetzt mehr: ,Ihr müßt aber als Transmissionsriemen dieser oder jener Partei funktionieren.‘“

„Nicht nur Transmissionsriemen wären wir unter Starowojtowa“, ergänzt Dascha: „Es gebe wieder Vorzeigefrauen in den Parlamenten, die sich gefälligst auf die soziale Sphäre beschränken müßten. Schon einen Monat nach der Wahl würde man uns dann wieder Kleidertallons zuteilen. Und nicht nur unsere feministischen Blättchen müßten in den Untergrund gehen, sondern auch die russischen Ausgaben von Elle und Cosmopolitan.“ – „Dafür“, ergänzt Natascha trocken, „gäbe es dann die Journale Die Arbeiterin und Die Bäuerin. Vielleicht dann aber endlich einmal im Hochglanzdruck.