"Städte nicht amerikanisieren"

■ Interview mit Bundesbauminister Klaus Töpfer auf der UN-Konferenz "Habitat II" in Istanbul. Töpfer verteidigt den Konferenzort: "Hingehen, wo die Probleme sind"

taz: Herr Töpfer, Sie haben sich persönlich sehr stark für diese Konferenz eingesetzt. Nun ist das Teilnehmerinteresse doch wesentlich geringer als erwartet. Ist „Habitat II“ schon jetzt gescheitert?

Klaus Töpfer: In der Tat hat es der Vorbereitungsprozeß wohl nicht hinreichend geschafft, weltweit zu sagen, daß das etwas ist, was über unsere Zukunft existentiell mitbestimmt. Ich will deswegen noch nicht sagen, daß die Konferenz gescheitert ist, aber wir haben einen weiten Weg zu gehen, um die Brisanz des Themas dauerhaft klarzumachen.

Was erwarten Sie denn als konkrete Ergebnisse der Konferenz?

Zentral ist die Frage, welche Rolle die Gemeinden spielen: Wenn wir hier durchsetzen können, daß die Eigenständigkeit der Gemeinden und die Demokratie in den Gemeinden zu einem Grundkonsens wird, dann wäre das weltweit ein enormer Durchbruch. Basisdemokratie und kommunale Selbstverwaltung sind für ganz viele Länder heikle Punkte, weil sie eine Veränderung der Machtstrukturen fürchten. Der nächste Punkt ist die Frage der Nachhaltigkeit der Entwicklung: Die Entwicklungsländer werden zunehmend unruhig. Sie sind der Meinung, daß das, was in Rio damit verbunden gewesen ist, nämlich gleichzeitig auch breite Hilfe für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens, nicht eingehalten worden ist. Wir müssen die Diskussion darüber hier wieder stabilisieren: Nachhaltige Entwicklung ist und bleibt auch für Städte die einzige Chance.

Im deutschen Aktionsplan sind fast alle Punkte angesprochen, die einem zu diesem Thema einfallen können. Die Suburbanisierung wird kritisiert, Stichwort Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Gleichwohl geht die Entwicklung in Deutschland weiter.

Sicherlich besteht diese Lücke, natürlich ist da Handlungsbedarf.

Aber Deutschland will doch Beispiel sein. Wie werden Sie denn aktiv, um das voranzubringen?

Die Entwicklung des Einzelhandels in den neuen Bundesländern ist dramatisch falsch gelaufen. Es war objektiv in den Innenstädten der DDR schwer, Einzelhandel anzusiedeln, und so haben wir derzeit in den neuen Bundesländern zweieinhalbmal soviel Quadratmeter pro Kopf Einzelhandelsflächen auf der grünen Wiese wie in den alten Bundesländern. Diese Situation kann man nicht auf Dauer akzeptieren. Deswegen die Überlegung: Können wir nicht durch die Novelle des Baugesetzbuches, durch eine Änderung der Baunutzungsverordnung und durch engere interkommunale Zusammenarbeit bessere Instrumente verfügbar machen? Das geht bis hin zu der Frage, ob man etwa den Ladenschluß flexibel so gestalten soll, daß der Einzelhandel in der Innenstadt länger offenbleiben kann, auf der grünen Wiese aber nicht. Alles das ist sicherlich nicht von heute auf morgen machbar. Aber allein durch die Tatsache, daß wir einmal international veranlaßt sind zu sagen, wo die Lücke ist, ergibt sich ein ganz anderer Druck zu handeln.

Sie wollen die „Habitat II“ nutzen, um Ihre eigene Regierung dazu zu bringen, ihre Politik konsistenter zu machen?

Ich wußte natürlich, daß Sie das so interpretieren, aber stimmen tut's nicht. Ich übe keinen Druck auf die eigene Regierung aus, es ist ein Druck auf unsere gesamte Gesellschaft, auf die Kommunen, auf die Länder, auf den Bund, zu überlegen, wie wir auch auf Dauer vielfältige profilierte Städte und ländliche Strukturen erhalten können. Wir alle stehen unter diesem Druck, darauf hinzuwirken, daß unsere Städte nicht amerikanisieren, nicht auseinanderfallen und sozial desintegriert werden.

Themawechsel: Sie haben erfahren, daß hier ein Alternativ- Forum türkischer Menschenrechtsorganisationen verboten wurde, auf dem die Situation kurdischer Flüchtlinge Thema sein sollte. Die Organisationen sagen, daß Istanbul in dieser Situation nicht der richtige Ort für „Habitat II“ sei. Ihre Meinung?

Wir haben in der Gemeinschaft der Europäischen Union und der Gruppe der OECD-Länder der türkischen Regierung vorgetragen, daß die Meinungsfreiheit in diesen so wichtigen Fragen gewährleistet sein sollte. Aber ich sage auch: Gerade weil all diese Probleme da sind, ist Istanbul ein hervorragender Tagungsort.

Aber wird nicht eine Regierung aufgewertet, die Teil der Ursache des Problems ist?

Es ist die Frage, ob das so von allen gesehen wird. Aber ich sage noch einmal, wenn wir uns an Konferenzorten nicht von Problemen einholen lassen, dann ist der Konferenzort falsch gewählt. Wir müssen genau da hingehen, wo die Probleme vorhanden sind. Interview: Bernd Pickert, Istanbul