: Mann ist ja ganz unter sich
■ Sicherheitsstufe 1 beim Dinner im Berliner Gropius-Bau
Die Speisekarte hängt am schwarzrotgoldenen Bande. Und der Oberkellner spielt General. „Aufstellung!“ schmettert er seiner Truppe entgegen, und 40 HilfskellnerInnen treten zack, zack in Reih und Glied. Kampfeinsatz im Martin-Gropius-Bau. Die Nato rückt mit 400 Gästen an. Der Lichthof des Berliner Museums wird zum Bankettsaal. Außenminister Klaus Kinkel hat zum Dinner geladen, Bühnenshow inklusive.
Ein riesiger Pulk junger Männer mit stoischen Gesichtern und naßkalten Augen entert den Saal. Ihre schlechtsitzenden Anzüge beulen unter der linken Schulter. Wie vorher die Hunde, die nach Sprengsätzen suchten, schnüffeln sie unter jedem Tischtuch. Sicherheitsstufe I. Eine ganze Armee bewacht die Außenminister, eine Handvoll Museumsangestellte bewacht die Kunstwerke vor den Minstern und ihren Bewachern.
Der Protokollchef hetzt einen letzten Blick durch den Raum, Hunderte dunkelgekleideter Männer schieben sich durch die Doppelflügel der Eingangstür, hier und da begleitet von einer Dame. Gastgeber Kinkel marschiert zu Tisch Nr. 1; ihm gegenüber sitzt Warren Christopher, der jetzt schon aussieht, als hätte er Magenschmerzen. Kaum hat sich Kinkel gesetzt, springt er schon wieder auf. Ein verspäteter Gast: massige Gestalt, Doppelkinn – der russische Außenminister Primakow. Kinkel schüttelt ihm wild die Hand und klopft ihm beschwichtigend auf den Arm. Strategie für künftige Verhandlungen.
Kinkel hält eine klitzekleine Rede. Nichts Politisches. Mann ist ja ganz unter sich. Presse und Öffentlichkeit sind ausgeschlossen. „I have a suitcase in Berlin since my student-days“, erbärmelt sich der Außenminster in English, das klingt, wie die Terrine de fruits de mer aussieht. „Wie können die noch was essen, wenn andere zusehen“, brummt ein hungriger Sicherheitsmann. Der Brite Malcolm Rifkind fixiert erschrocken das Kalbfleisch auf seinem Teller, General Joulan kämpft mit den drei Spargeln, bis sein Bullengesicht rosa schimmert. Dazu wird Laumersheimer Kirschgarten und Bopparder Hamm Mandelstein serviert.
Drei Stunden geben sich die Herren untereinander leutselig. Nur Warren Christopher sieht aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen statt in die Charlotte aux framboises. bam
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