piwik no script img

Beifuß, Arsen, Mutterkorn

■ „Unter anderen Umständen“: Das Oldenburger Stadtmuseum widmet sich der Geschichte der Abtreibung– ohne ideologische Verbrämung

„Mich schockiert (...) der Gedanke an eine Legalisierung der Abtreibung, denn ich betrachte sie, wie viele andere, als Mord. In meinen Träumen, in meinem ganzen Verhalten lebt – wie bei allen Menschen – etwas von meinem Dasein vor der Geburt weiter, von meinem seligen Schwimmen im Mutterleib. Daß das Leben heilig ist, versteht sich von selbst; dieses Prinzip steht über dem Prinzip der Demokratie, und es erübrigt sich, darüber weitere Worte zu verlieren.“

Dieser apodiktischen Einschätzung des Filmemachers und Schriftstellers Pier Paolo Pasolini wollte sich das Hygiene-Museum nicht anschließen, als es 1993 die Ausstellung „Unter anderen Umständen – die Geschichte der Abtreibung“ präsentierte und im zugehörigen Katalog einen Essay Pasolinis abdruckte. Die Dresdener Schau ist nun im Stadtmuseum Oldenburg zu sehen. Keine ideologische Munition für oder wider die derzeitige Auslegung des § 218 durch das Bundesverfassungsgericht haben die Ausstellungsmacher zusammengetragen, sondern sich dem Thema historisch genähert.

Von den sogenannten Weisen Frauen (das französische sage-femme ist noch heute das Wort für Hebamme) und ihren leibesfruchttötenden Kräuteraufgüssen ist in der Schau die Rede, von „Frauenspritzen“ und Faßseife, die mittellosen Frauen zu Zeiten der Weimarer Republik als ebenso billige wie gefährliche Abtreibungsutensilien dienten. Ausführlich wird die eugenische und rassistische Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten präsentiert, wonach „arischen“ Frauen Schwangerschaftsabbrüche verwehrt, „fremdländische“ hingegen zu Abbrüchen verpflichtet oder gleich zwangssterilisiert wurden.

Breiten Raum bekommt auch die parallele Entwicklung der staatlichen Einflußnahme auf das ungeborene Leben in der DDR und der Bundesrepublik. „Unter anderen Umständen“ endet mit einem Transparent mit einem Auszug aus dem geltenden Recht: Ein Abbruch ist innnerhalb der ersten drei Schwangerschafts-monate dann nicht rechtswidrig, wenn sich die Frau einem Beratungsgespräch unterzogen hat.

„Wir mußten die Exponate dichter stellen und hängen, als sie im Hygiene-Museum präsentiert waren“, sagt Ewald Gäßler, Direktor des Stadtmuseums Oldenburg. Und weil die Ausstellung eigentlich „gar nicht wandern“ sollte, mußten einige wertvolle Objekte erst wieder von den diversen Leihgebern nach Oldenburg geholt werden. In Plexiglasvitrinen, in die transparente Aussparungen geschnitten wurden, werden zum Beispiel Streichhölzer mit Phosphorköpfen ausgestellt, die abgekratzt und in Kaffee aufgelöst zu Verätzungen des Fötus führten. Abgetötet wurde der Fötus auch durch Einnahme von Blei, Arsen oder Chinin. Bei Überdosierung Todesfolge. Das Risiko hatte die Frau zu tragen.

Schade, daß einige der Exponate bloß unscharf zu erkennen sind: Reproduktionen aus alten Folianten oder getrocknete Kräuter, Grundlage für die von „Hexenhand“ gebrauten abortiven Sude. Grund ist, siehe oben, Platzmangel. Denn die Oldenburger haben Exponate auch an den Stellen in den Plexiglas-Schaukästen plaziert, die kaum vom Zuschauer einzusehen sind.

Buchstäblich handhabbar sind die reproduzierten Aktenkonvolute aus dem „Dritten Reich“, die Fälle medizinischer Zwangseingriffe bürokratisch kalt festhalten: von „Ausräumung“ ist da die Rede und von „zerstückelten“ Föten, gemäß dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dem gegenübergestellt sind Prozeßakten, in denen Strafverfahren gegen „arische“ Frauen und Ärzte eingeleitet sind. Ihr Delikt: Abtreibung. Schließlich, so ist dem Katalog zu entnehmen, sollten „,erbgesunde' deutsche Frauen mindestens vier Kinder zur ,Bestanderhaltung des Volkes' gebären“.

Eine Ausstellung, die die Geschichte der Abtreibung vom 16. Jahrhundert bis heute behandelt, kann nicht vollständig sein; sie will es auch gar nicht. Was sie leistet, ist, für die verzweifelten Anstrengungen – mit oft tödlichem Ausgang – zu sensibilisieren, die Frauen auf sich nahmen, um sich ihrer Leibesfrucht zu entledigen – aus moralischen, aus wirtschaftlichen, aus persönlichen Gründen. „Frauen tun alles, um ein Kind zu bekommen; sie tun aber auch alles, um es nicht bekommen zu müssen“, prangt am Eingang der Schau. Die verläßt man mit dem mulmigen Gefühl, wie sehr doch dieses „Alles tun“ an den Einfluß moralischer Instanzen gekoppelt ist: Abtreibung blieb in der weltlichen Gerichtsbarkeit bis 1532 grundsätzlich straflos. Ebenso wechselhaft die medizinische und ethische Auslegung des Lebensbegriffs: Ab wann entwickelt das, was in der Gebärmutter heranwächst, Bewußtsein?

„Unter anderen Umständen“, von den Frauenbeauftragten Oldenburgs und der umliegenden Gemeinden aus Dresden nach Niedersachsen geholt, wird dem Anspruch gerecht, sich nicht in ideologischem Gestrüpp zu verirren, sondern „sachlich aufklärende Ausstellungsarbeit aus der Zeit der Weimarer Republik“ zu bieten, wie es Martin Roth und Klaus Vogel vom Hygiene-Museum im Vorwort des Kataloges proklamieren. Der ist mit zahlreichen streitbaren Essays zum Thema – Pasolinis Text ist einer davon – kein Beiwerk zur Ausstellung, sondern eine Fortführung mit anderen Mitteln.

Alexander Musik

Stadtmuseum Oldenburg, Am Stadtmuseum 4-8, Di.-Fr. 9-17 Uhr, Sa 9-12 Uhr, So 10-17 Uhr, Katalog 24 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen