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Allianzen und Hänseleien

■ Ist die hehre Kultur vor der EM frei vom Fußballfieber? Eine Umfrage unter Theaterleuten und in der Kulturbehörde fördert Widersprüchliches zutage

Theater und Fußball haben viele Gemeinsamkeiten, und Sportreporter haben diese mittlerweile verbal ordentlich breitgetreten: Der Schauspieler, der Regisseur, das Ensemble, die Bühne, selbst der „inszenierte“ Fußball wabert längst weidlich durchs Kicker-Deutsch. Wie ist es aber umgekehrt? Ist Fußball in den Theatern ein Thema oder führen Fans der schönsten Nebensache der Welt hier ein Kaspar-Hauser-Dasein – niemand spricht mit ihnen, alle lächeln nur über diese Manie?

Frank Baumbauer, Intendant des Deutschen Schauspielhauses und großer Bayern München-Fan, bestätigt für Hamburg, was auch aus anderen Staatstheatern bekannt ist: der männliche Teil der Beleg-schaft hat das Fußball-Fieber. Er selbst, der auch als treuer Fan froh war, daß München nicht Meister wurde, weil er sonst einen Tag lang in einem Jürgen-Klinsmann-Trikot zur Arbeit hätte erscheinen müssen, greift dafür sogar in die Tricckiste. So hat er seiner Frau Gundi Ellert einen premiere-Key geschenkt, „durchaus mit dem eigennützigen Hintergedanken, so ab und zu mal Bundesliga-Fußball live sehen zu können“.

Da das Theater zu Welt- und Europameisterschaften meist Ferien hat, tangiert nur die vorherige Wettleidenschaft das Thema zur Spielzeit. Aber bei entscheidenden Europacup-Spielen läuft auf dem Kantinen-Monitor mit Sicherheit keine Übertragung von der Bühne sondern aus Nottingham oder Bordeaux. Schauspieler und Techniker sitzen hier einmütig beieinander, während draußen der Saal deutlich leerer ist als sonst.

Hänseleien von Menschen ohne eingepflanzten Fußball-Chip sind zwar die Regel, aber ideo-logi-sches Sperr-feuer a la „Wie kann man nur Deutschland gucken?“ gehört, so Baumbauer, „Gott sei Dank der Vergangenheit an“.

Noch enger ist die Allianz von Fußball und Theater in den Kammerspielen. Nicht nur, daß der Finanzier des Theaters, Jürgen Hunke, einst HSV-Präsident war. Dem letzten Wechsel in der künstlerischenLeitung ging, so Ulrich Tukur, eine ausführliche Fachsimpelei um das Lederei voraus.„Ich bin mir nicht sicher“, so Tukur nach der Berufunggemein-sam mit Ulrich Waller scherzhaft, „daß wir uns so schnell einig geworden wären, wenn wir keine Ahnung von Fußball hätten“.

Bettina Birk, Pressesprecherin des Theaters, weiß auch aus der Vergangenheit am Staatstheater Stuttgart, das „Fußball ein äußerst belebendes Element ist, daß auch die verschiedenen Abteilungen zusammenschweißt“.

Ganz anders verhält es sich auf Kampnagel und in der Kulturbehörde. Armin Kerber, Dramaturg der Kulturfabrik und als Nürnberg-Fan eh schon gestraft, leidet darunter, „daß dies das erste Theater meiner Laufbahn ist, wo sich nicht einmal mehr die Technik für Fußball interessiert“. Zwar spielen auf Kampnagel alle brillant Tischfußball, „aber wenn du dann sagst, ,ein Strich wie von Schwarzenbeck', dann schauen dich alle nur entgeistert an.“ Auch Rolf Suhl, Referent der Kultursenatorin Christina Weiss, weiß sich mit seiner Leiden-schaft allein: „Das wird als Macke großzügig akzeptiert, so als würde ich Bierdeckel sammeln.“ Suhl kann sich „an keinen Montag erinnern, an dem in der Kantine der letzte Spieltag analysiert worden wäre“.

Nationalismusvorwürfe zu WM- und EM-Turnieren erleben alle nicht mehr. Kerber: „Ich bin dann eigentlich immer im Ausland, und da behandeln sie dich wie einen Depp, wenn du nicht für dein Team fieberst.“ Und wie stehen die Frauen zur Fußballsucht? „Die sehen Tennis“, sagt Baumbauer und Kerber weiß von umfangreichen Video-Bibliotheken mit Boris-Becker-Spielen bei Schauspielerinnen.

Dann ist die Kultur-Welt zur EM ja voller Verständnis. Und das tut auch not, ab morgen, 16 Uhr.

Till Briegleb

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