■ Urdrüs wahre Kolumne: Ariane in den Space Park
Wie wohl und eitel ist doch der Wahn mancher Elterntiere, sich in Ihrem Wurf auch weltanschaulich zu reproduzieren! Seit ich mit Beginn der diesjährigen Badesaison zu den eisenharten Frühschwimmern zähle, begegnet mir beim Rosinenbrötchen danach in der Bäckerei an jedem Morgen eine liebenswerte Neunjährige, die aus dem Dunstkreis des kleinstädtischen Bioladens stammt, sich dort hinter dem Rücken der ernährungsbewußten häuslichen ErzeugerInnengemeinschaft mit Lakritzrollen, sauren Schnüren und Hefeteilchen vom Vortag versorgt und mich bei dieser Prozedur immer wieder an deren Frau Mama goldene Worte erinnert: „Sarah hat das ja nie kennengelernt und vermißt es überhaupt nicht!“
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Im verzweifelten Bemühen, der Absatzkrise auf dem Rindermarkt zu entgehen, schreibt der Schlachtermeister nebenan jetzt plakativ an seine Fensterfront: „Ich kenne jedes Stück Fleisch von Anfang an!“ Das wär'mal so ein Fall für „Wetten, daß“...
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So kann es dem nächtlichen Reisenden auf dem Bremer Hauptbahnhof am Stadtfest-Wochenende begegnen. Kommt da so ein Manta-Proll herangetorkelt, drückt einem zwei originalverpackte Kondome mit dem Folien-Slogan „Mach's gut/mach's besser/mach's mit“ in die Hände und sagt: „Hab ich geschenkt gekriegt, aber vielleicht sind das ja welche wose nur zum Spaß Löcher reingepiekst haben, also ohne Garantie, Alter!“ Wieder mal so ein Beispiel für den schweren Stand des Aids-Beraters mit und ohne ABM-Vertrag.
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The Party is over und wie over sie ist, belegte Verlauf und Ausgang der Motto-Fete „Ariane 5 meets the Titanic“ im Gruppenraum des beschäftigungstherapeutischen Instituts DASA. Und doch sieht so ein gestandener Visionär wie Frankieboy Haller vermutlich schon wieder Licht am Ende des Tunnels der Betretenheit: Die herrlichen Bilder vom Verglühen der sich selbst zerstörenden Rakete als tägliche pyrotechnische Inszenierung im Space-Park, das wär' doch genau das, was der Schaustellersippe Köllmann noch als ultimativen Kick für die Konzeption des Space-Parks gefehlt hatte! Und die Milliarde, die da in Sekundenschnelle im Meer versank, ist sie nicht eine großartige Allegorie gängiger Wirtschaftsförderung aus der Gemeindekasse?
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Tschuldigung, lieber Leser in der Nierenwäsche, aber wenn ausgerechnet der bremische Medizinmann Karsten Vilmar zum Organspenden aufruft mit der Begründung „Jede Organspende ist ein Geschenk, das einem anderen Menschen das Leben wieder erträglich macht“, dann ist das erheblich kontraproduktiv: Wer will schon sein sauer Nierchen oder sein klein Herzchen für lau loswerden, um den Onkel Doktors aus der Vilmar-Garde die wirtschaftliche Praxisführung aus dem Patientengut zu ermöglichen oder den nächsten Abschreibungstanker auflegen zu lassen?
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Da der Endesunterzeichnete einen erheblichen Anteil daran hat, daß bei einem Teil des Publikums schon die Nennung der Namen Walter Kompowski, Uwe Beckmeier, Richard Skribelka oder Elisabeth Motschmann je nach Temperamentslage erheblichen Unmut oder brüllendes Gelächter hervorruft, möchten wir nunmehr den Fernsehpfarrer Jürgen Fliege in diese Riege hineinschreiben: Nachdem an dieser Stelle kürzlich schon der pubertäre Kampf dieses Lausbuben gegen die allmächtige Orgel und für mehr Eiteitei im Gottesdienst zu würdigen war, ruft uns der Medienforscher Gary Bente von der Uni Köln auf den Plan, der da kackfrech behauptet: „Fliege bietet den Zuschauern Gespräche, die sie im Alltag vermissen.“ NEINNN!!! brüllen wir entsetzt, das nun aber bloß nicht!!! In Deutschlands größter Tageszeitung macht dies den Jürgen zum „Gewinner des Tages“, bei uns zum Bremerhavener ehrenhalber.
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Findest Du nicht auch, daß es zum Arbeiten zu warm ist?
Schöne Grüße aus der Hängematte von Ulrich Reineking-Sesamstraße
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